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Algo-Rausch
21.04.2013 - Algorithmic Trading - Wenn die Computer den Börsenkurs austricksen
Mehr als 40 Prozent aller Börsentransaktionen in Deutschland laufen über die Computer von Hochfrequenzhändlern - Tendenz steigend. Mit dem automatisierten Wertpapierhandel wächst die Gefahr unerwarteter Kursausschläge und kaum nachvollziehbarer Kursmanipulationen. Strengere Regularien der Handelsplattformen sollen den Missbrauch eindämmen.
Den Tag dürfte Thomas Joyce, Chef der Wall-Street-Firma Knight Capital, so schnell nicht vergessen: Am 1. August letzten Jahres verzeichnete der US-Börsendienstleister innerhalb von 45 Minuten einen Verlust von 440 Millionen US-Dollar. Am Tag zuvor hatten Softwarespezialisten ein neues Handelsprogramm installiert. Die Computersoftware lancierte an der New Yorker Börse automatisch Aktienorder in Milliardenhöhe ohne Kaufpreis und Werthaltigkeit der Papiere zu prüfen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Computerprogramme verrückt spielen und das Börsengeschehen beeinflussen. Auf allen wichtigen Handelsplätzen weltweit agieren Wertpapierhändler, die ihre Kauf- und Verkauforders algorithmisch berechnen und möglichst verzögerungsfrei in die Börsensysteme einspeisen. Die Akteure sind Mitarbeiter von Hedgefonds und Investmentbanken wie Goldmann Sachs, Merrill Lynch, UBS oder Deutsche Bank sowie mehrere an den Börsenplätzen akkreditierte Händler kleinerer Häuser.
Während die herkömmliche Computerbörse lediglich passende Kauf- und Verkaufsorder verknüpft und damit den Anweisungen des Parketts folgt, geht es beim algorithmisch berechneten Trading um automatisierte Entscheidungsprozesse. Es gibt keinen Händler mehr, der eingreift.
Und es geht um Geschwindigkeit. Eine auf Schnelligkeit programmierte Software löst im so genannten High Frequency Trading (HFT) 40 000 Kauf- und Verkaufsangebote pro Sekunde aus. Der Rekord solcher sogenannten Quotes liegt derzeit nach Angaben von Joachim Nagel, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, bei 47.138 Orders in einer Sekunde - ein HFT-Computer hat das bei der US-Aktie PSS World Medical im April diesen Jahres geschafft.
Schnelle Netze, schneller Gewinn
Durch das Hochtakten der Handelsplattformen beschleunigt sich das Börsengeschehen um ein Vielfaches. In Bruchteilen von Sekunden analysieren die Computeralgorithmen große Mengen an Daten und initiieren Kauf oder Verkauf eines Assets. Ziel des Algorithmic Trading ist das Aufspüren kleinster Kursdifferenzen, um durch schnelle Orderausführung mit geringen Transaktionskosten Arbitrage-Gewinne zu realisieren.
Nach Auskunft von Nagel hat die HFT-Branche Aufwind, denn es rechnet sich. Beispielsweise sollen über ein neues Atlantikkabel zwischen London und Halifax im kommenden Jahr ausschließlich Finanzdaten und Kursinformationen fließen. Die Transaktionszeit über den 6.000 Kilometer langen Weg beträgt 59 Millisekunden - das sind sechs Millisekunden weniger als über die bisherigen Kontinentleitungen. Trotz immenser Projektkosten von 300 Millionen US-Dollar und deutlich höheren Kabelgebühren beschert die niedrigere Netzlatenz den High-Frequency-Tradern neues Renditepotential: "Laut Schätzungen in der HFT-Branche generiert jede Millisekunde, um die ein großer HFT-Akteur schneller ist als seine Konkurrenz, pro Jahr mehrere Dutzend Millionen US-Dollar zusätzlichen Gewinn", sagt Nagel auf der diesjährigen TradeTech DACH Konferenz in Frankfurt.
Marktverzerrung durch Millisekunden-Takt
Welche Gefahren für die korrekte Orderabwicklung von Algo-Tradern auf den Handelsplätzen ausgehen, darüber sind sich Fachleute indes nicht einig. Kritik kommt von Aufsichtsbehörden ebenso, wie von Marktbeobachtern, die eine zunehmende Marktverzerrung durch marktschädigende HFT-Strategien befürchten. Börsenanalyst Dirk Müller hält den Hochfrequenzhandel für eine überflüssige Erfindung der Neuzeit, denn "mit dieser Geschwindigkeit kann kein Mensch mithalten."
Ins selbe Horn stößt auch Vermögensverwalter Georg von Wallwitz. Nach seinen Beobachtungen verdienen nur wenige Großhändler an den Börsenaktivitäten im Hochgeschwindigkeitsnetz: "Das ist Zockerei", sagt von Wallwitz. Vor allem kritisiert der Geldexperte, dass bei automatisierten Entscheidungen im Millisekundenbereich keinerlei Einzelbewertung fundamentaler Daten der gehandelten Wertpapiere einfließen.
Bundesbanker Joachim Nagel geht davon aus, dass der Geschwindigkeitsvorteil algorithmisch veranlasster Handelsaktivitäten durchaus zu mehr Markteffizienz führen kann, sieht aber ebenso Nachteile: "In sehr volatilen Marktsituationen kann der Hochgeschwindigkeitshandel auch destabilisierend wirken", warnt Nagel. Einziger Ausweg: Mehr Transparenz und neue Regeln im elektronischen Wertpapierhandel.
Vor allem exzessive Kursschwankungen, wie der so genannte Flash Crash im Mai 2010, entfacht immer neue Kritik am elektronischen Wellenreiten der High-tech-Händler. Damals sackte der Dow Jones innerhalb einer halben Stunde ohne Vorwarnung um 1000 Punkte ab. Finanzmarktexperten beschuldigten daraufhin Computerhändler des Investmentfonds Waddell & Reed Financial, durch sekundenschnelle Verkäufe großer Wertvolumina den Kurssturz mit ausgelöst zu haben.
Mehr Transparenz im ALgo-Trading
Seitdem herrscht Misstrauen bei Börsenaufsicht und Regulierer gegenüber den Renditejägern der HFT-Branche. Hintergrund für marktschädigende Einflüsse ist die sogenannte Quote Stuffing-Taktik, die von einigen HFT-Algorithmen verwendet wird. HFT-Händler versuchen durch eine große Zahl an Ordern, die sofort wieder anulliert werden, Kursbewegungen für ihr Arbitragegeschäft in Gang zu bringen. Die Scheinangebote erhöhen zwar die Marktliquidität spiegeln aber kein reales Handelsvolumen wieder.
Neue Gesetzesinitiativen, die eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte ins Auge fassen, betreffen deshalb auch neue Standards für den Hochgeschwindigkeitshandel. So könnte eine längere Mindesthaltefrist für Börsenaufträge bei großvolumigen Quotes das sekundenschnelle Hin- und Herschieben von Wertpapieren unterbinden. Einen Schritt weiter gehen so genannte Circuit-Breaker, die den Handel in einem bestimmten Asset unterbrechen, falls die Kursschwankungen einen bestimmten Wert übersteigen. Mehr Transparenz könnten auch Trader-IDs schaffen, die jeder Marktorder zugeordnet sind und Aufschluß über die Händlerstrategie geben.
Ungeachtet drohender Regulierungen investiert die HFT-Branche weiter in den Elektronikhandel. Tony Verga, CEO des US-Providers HFT Technologies, setzt auf immer kürzere Latenzzeiten: "Wir haben erstmals zwei neue Appplikationen entwickelt, die alle Handelsoperationen unterhalb der Zehn-Millisekunden-Grenze ausführen", unterstreicht Verga. In Zukunft erwarten HFT-Trader noch weitere Optimierungssprünge in Richtung Picosekunden-Übertragung. Vor allem wenn sie ihre Rechner gleich neben die so genannten Matching Engines in den Rechenzentren der Börsen platzieren dürfen.
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FAQ Krise (7) - Volatil bis zur Halskrause
25.11.2012 - Der Fortschritt im europäischen Krisengeschehen offenbart Einblicke ins EU-Getriebe und die Positionen der beteiligten Staaten. Alle sind glühende Europäer, verfolgen aber rigoros ihre nationalen Interessen. Was geht ab auf dem Finanzparkett und warum vermehren sich eigentlich immerzu die Schulden. Hier die Zusammenfassung von FAQs unter dem Eindruck divergierender Machtkonstellationen.
Es gibt viele Mutmaßungen, wer oder was die Krise ausgelöst hat. Ein Glaubenssatz hält sich bis heute in den Talkshows und Zeitungskommentaren: Gierige Bank-Trader haben immer riskantere Finanzprodukte geschnürt und damit die Weltwirtschaft aus dem Gleichgewicht gebracht. Sind Banker auch die Totengräber des Euro?
Nicht wirklich. Banker mögen gierig nach Geld sein, aber niemand verzichtet freiwillig auf eine ordentliche Geldvermehrung. Das wäre der Zusammenbruch der Marktwirtschaft. Jedem Angebot fehlt der Stachel, jeder Verkauf wird überflüssig. Ohne Rendite bewegen sich nur sehr wenige Rädchen. Selbst wirtschaftsferne Idealisten bekommen zu spüren, dass brachliegendes Geld nutzlos ist und unterm Kopfkissen immer wertloser wird. Ordentliche Geschäfte brauchen Kredit und ohne Hypothekendarlehen gibt es keine Häuslebauer. Auch Künstler oder ein Symphonieorchester benötigen Geldgeber, um ihre Kunst ausüben zu können. Mit fällt überhaupt kein Lebenszusammenhang ein, der da rausfällt. Selbst das Verliebtsein in ideelle Werte setzt den Zwang zum Gelderwerb nicht außer Vollzug. Making Money ist angesagt, sonst fällt man als Looser unangenehm auf. Die Bankenrettung aus der Anfangsphase der Krise und die fortlaufende Stützung der Institute unterstreicht ja die grundsätzliche Bedeutung der Geld- und Kreditwirtschaft für den Fortbestand des Gemeinwesens. Insofern sind Banken kein Bestattungsunternehmen.
Aber Banken oder deren Zweckgesellschaften akkumulieren doch letztlich die Schulden bis hin zur Zahlungsunfähigkeit ...
Wenn Trader, die ihrem Arbeitgeber ein paar Milliarden Verlust eingebracht haben aus dem Verkehr gezogen werden, ist das wirklich nicht das Ende der Krise. Intensive Geldschiebereien sind eigentlich nur die Begleiterscheinung, die allenfalls zeigt, welche Summen für Arbitragegeschäfte mobilisiert werden. Im High-Frequency-Trading lässt sich das sogar auf Computer mit dafür geeigneten Algorithmen übertragen. Schwächeln die Geschäfte und fallen die Kurse fangen Banker an gegen den Euro zu spekulieren. Fallende Kurse lassen sich eben auch zu Geld machen. Allerdings beruht das dann auf Misstrauen gegenüber der Währung und der Vertrauensverlust entsteht nicht aus dem Nichts. Das macht die Sache so kompliziert. Es sind tatsächlich die Banken, die ihre vermehrungswirksamen Euro-Geschäfte an einen Punkt getrieben haben, der Misstrauen hervorruft: Es zirkulieren Berge von Wertpapieren und Finanzkontrakten, die zusammengenommen die tatsächlich vorhandenen Vermögenswerte um ein vielfaches übersteigen. Letztendlich sind solche Finanzaktiva nur behaupteter Reichtum, ihrem Gehalt nach aber nur Versprechen auf Gewinn oder - im Fall verbriefter Hypotheken - forderungsbesicherte Schulden.
Das aber ist doch genau die Grube, in die das Finanzgewerbe selbst stolpert, wenn sie ihre Geschäfte mit allerlei Verbriefungstechniken ständig erweitern und letztlich nur noch heisse Luft verkaufen oder in ihren Büchern als Aktiva bilanzieren.
Heisse Luft ist in dem Geschäft immer dabei. Da können Gerüchte die Kurse in Bewegung bringen, ein Branchenpromi macht Andeutungen in einem Interview oder Regierungsverantwortliche denken laut nach. Das alles löst Kurs- und damit Wertschwankungen aus. Man müsste jetzt etwas tiefer in die ökonomischen Zusammenhänge einsteigen und klären, wie Geldschöpfung aus sich heraus funktioniert und Schulden als Hebel für die Geldvermehrung eingesetzt werden. Auf jeden Fall will jeder, der im Geldhandel unterwegs ist seinen Schnitt machen, dafür kriegen Banker ihr Gehalt und auch die Boni für besonders gelungene Abschlüsse. Die Frage bleibt, warum aus diesen Geldgeschäften weltweit Schulden in Billionenhöhe entstehen. Das liegt sicher nicht an ein paar entgleisten Bankmanagern, die strukturierte Finanzprodukte betrügerisch am Markt plaziert haben.
Die Schadensbilanzen von Madoff & Co summieren sich schnell mal auf zig Milliarden ...
Natürlich spiegeln sich Verluste irgendwann in den Bilanzen wieder. Was in den Bücher steht hat aber mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun. Erst einmal machen Finanzmanager Geschäfte mit handelbaren Produkten und zwar so lange wie sie Käufer dafür finden. Einmal direkt im Auftrag ihrer Anleger sodann auch als Anbieter strukturierter Finanzprodukte aller Art sowie im Kreditgeschäft. Auf dieser Basis erweitern sie ihr Geschäft, ziehen selbst Kredit, um damit vielversprechende Geschäfte am Kapitalmarkt zu finanzieren oder sich zu refinanzieren. Wenn die Madoffs daraus eine persönliche Bereicherungsmaschine machen und jahrelang per Schneeballsystem Anleger reinlegen ist das ein dreister Regelverstoß. Bei Madoff summierten sich zum Zeitpunkt seiner Verhaftung die verzockten Geldsummen auf rund 50 Milliarden Euro. Es ist natürlich die Höhe des veruntreuten Geldes, was den Mann zu Fall brachte. Ohne Finanzkrise würde das Madoffsche Geldkarussell einfach weiterdrehen. Was ist aber, wenn ein Hedgefondsmanager in einer Woche aus einer Million fünzig Millionen macht, alles ganz legal abwickelt und seine zehn Prozent einbehält? Da haben auch einige schwer verloren. Aus Sicht der Ökonomen ist hier aber ein sehr effizientes Finanzgeschäft über die Bühne gegangen, riskant vielleicht, aber erfolgreich im Ergebnis.
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FAQ Krise (6) - Hart gekocht, weich gespült
13.10.2012 - Kaum ein Tag vergeht an dem nicht neue Krisennachrichten die Runde machen. Ob der jetzt gestartete Stabilitätsmechanismus tatsächlich die internationale Finanzwelt durch seine schiere Größe beeindruckt sei dahingestellt. Ob es sich um das letzte Aufgebot oder einen Feuerlöscher mit Zuschalthebel handelt lässt sich schwer beantworten - jedenfalls ist das nicht Gegenstand des folgenden Gesprächs.
Rettungsschirm klingt beruhigend, ebenso versichern die ESM-Verantwortlichen, dass jetzt der Starke dem Schwachen die Hand reicht. Sind solche Metaphern eigentlich realistisch?
Nein, natürlich nicht. Es ist bekannt und wer will kann es überall nachlesen, daß die Krisenbewältigung in den EU-Staaten von deren Bevölkerung einen hohen Preis einfordert. Blickt man auf die Brennpunkte in Griechenland oder Spanien ist ein Verarmungsprogramm unterwegs, das dramatische Züge annimmt. Auch in den noch erfolgreichen EU-Staaten wird seit langem an der Einkommensschraube gedreht, um Produktivität und Wettbewerbskraft hoch zuhalten. Wohnungsnot und Altersarmut wird debattiert, der Niedriglohnsektor erfährt eine personelle Aufstockung ungeahnten Ausmaßes. Gleichzeitig stellen die Euro-Partner einen riesigen Geldsack hin und laden alle notleidenden Staaten ein, sich unter bestimmten Auflagen zu bedienen. Schon diese Tatsache lässt aufhorchen. Seltsamerweise schrecken die finanzschwachen Staaten vor einem Zugriff zurück, obwohl sie das Geld dringend gebrauchen könnten - ihre Bevölkerung übrigens auch, doch die marschiert in wachsenden Teilen geradewegs in die Verarmung.
Woran liegt das?
Das Öffnen der Geldschleusen ist nicht so gemeint, dass jeder kriegt, was er braucht. Nicht einmal die von Einnahme- und Zahlungsnot bedrohten Staaten. Im September beschloss der EZB-Rat ein Anleihekaufprogramm das praktisch keine Obergrenzen kennt, aber dem betroffenen Staat jede Menge Auflagen beschert. Zwar kauft die Zentralbank auch marode Staatspapiere - und erhöht damit die zirkulierende Geldmenge um eben diesen Betrag - schreibt aber dem Schuldner vor, wie er mit dem Geld zu wirtschaften hat. Das ist einerseits ein massiver Eingriff in die Haushaltssouveränität der Staaten, bedeutet aber auch in anderer Hinsicht nichts Gutes. Es regnet Geld und gleichzeitig beginnen in Athen und anderswo die Menschen geldfrei zu tauschen, um überhaupt noch an was ran zu kommen. Ganz offensichtlich zielt der freigesetzte Kredit auf etwas ganz anderes als Notlagen von der Bevölkerung abzuhalten. Die nimmt man ja geradezu in Kauf.
Das kann man aber auch ganz anders sehen, nämlich als Anstoß zur Haushaltssanierung und Wiederherstellung der nationalen Wettbewerbskraft ...
Das sind die großen Überschriften, die ebenfalls so nett und vor allem einleuchtend klingen, hinter denen aber nichts anderes steckt, als der politische Wille zur gnadenlosen Durchsetzung der Gemeinschaftswährung. Zumindest sieht es im Moment so aus, als ob die führenden EU-Staaten nochmals den Versuch starten alle Euro-Verbindlichkeiten irgendwie in Kraft zu lassen also keinen Schuldenschnitt durchzuführen. Eine Gemeinschaftswährung hart wie Krupp-Stahl gewissermaßen. Das heißt freilich, dass Finanzhilfen an eben diese Bedingung geknüpft sind. EZB-Geld steht nicht frei zur Verfügung sondern steht unter dem Vorbehalt der Kontrolle. Der Geldfluss ist an ein Erfolgskriterium gebunden. Man kann das als Durchsetzung der Maastricht-Regeln - Defizitquote des Staatshaushalts von höchstens drei Prozent und Schuldenquote unterhalb 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - ansehen, aber das bekommt derzeit ohnehin keiner hin. Was bleibt ist trotz massiver Finanzkrise die Einschwörung auf die Maastricht-Kriterien aller Euro-Staaten. Den meisten Staaten steht allerdings das Wasser bis zum Hals und das liegt sicherlich nicht an Strandparty und mediterranem Schlendrian.
Trotzdem hängt von einer stabilen Euro-Währung doch einiges ab. Lohnt sich für die EU-Staaten das Festhalten am Euro nicht mehr?
Witzigerweise sind es ja die Finanzmärkte, die gegen den Euro spekulieren und das Vertrauen in diese Währung in Frage stellen. Deshalb wird auch diesem Klientel der rote Teppich ausgerollt. Selbstverständlich nimmt jeder Politiker, Wirtschaftskolumnist oder Fernsehmoderator die Geldsorgen der Normalverdiener und die Existenzbedrohung weiter Bevölkerungskreise zur Kenntnis. Aber daran ändern lässt sich leider nichts. Jedenfalls nicht jetzt, während all die Maßnahmen zur Krisenbewältigung in Gang gesetzt werden und systemische Fragen der erfolgreichen Kreditbewirtschaftung auf der Agenda stehen. Wie lässt sich das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen und neues Kapital anlocken, darüber zerbrechen sich Finanzminister den Kopf. Anders gesagt: Wie kann man den Euro wieder zum attraktiven Geschäftsobjekt machen. Um die Finanzmärkte zu beruhigen, lassen die Euro-Partner ihre gewaltigen Programme vom Stapel in der Hoffnung, dass sich potente Geldbesitzer beeindrucken lassen und wieder vermehrt in Anleihen engagieren und darüber die Refinanzierungskosten der Staatskassen sinken.
Und was ist mit Otto Normalverbraucher?
Der kommt in diesem Geschehen als Steuerzahler und Arbeitskraft vor. Mitunter erfährt er eine gewisse Wertschätzung als Familiengründer, Kaufkraft oder Wähler. Das klingt nach viel, könnte man meinen, aber so richtig berauschend ist das alles nicht, auch wenn der Steuerzahler ja gerne zum eigentlichen Subjekt all der Maßnahmen stilisiert wird. Man erinnert in aller Bescheidenheit gern daran, dass die staatlichen Soforthilfen und Milliardenbürgschaften zur Euro-Rettung letztlich Steuergelder sind. Folglich ist der Steuerzahler eigentlich der Geldgeber ...
Der zahlt ja auch die Zeche ...
Na ja, er leistet seinen Beitrag zum Erfolg des großen Ganzen. Man könnte auch sagen, er zockt mit am Leistungserfolg seiner Nation. Allerdings nicht ganz freiwillig. Wer seine Abgaben dem Finanzamt vorenthält bekommt Ärger, notfalls bis zum Gerichtsvollzieher. Außerdem gibt es praktisch nichts, was nicht mit irgendeiner Steuerart belegt wäre. Ich will damit sagen, Steuerboykott wegen falscher Ausgabenpolitik lässt die öffentliche Hand nicht durchgehen. Der Steuerzahler ist so ein allgemeines, blutleeres Subjekt wie das Geld, das er abdrückt oder die Spekulationsgeschäfte, die Banken damit machen. Trotzdem dreht sich alles um diese abstrakten Protagonisten.
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In Sorge um die Seele
24.07.2012 - Religion, Glaube und Kirche erhalten derzeit neuen Treibstoff nachdem so hässliche Vorkommnisse, wie priesterliche Knabenliebe und Sex statt Religionsunterricht in den Hintergrund gerückt sind. Kein geringerer als Jürgen Habermas und der Regensburger Erzbischof Gerhard Ludwig Müller legen Stroh ins Feuer und schaffen es in der Presse auf die vorderen Seiten. Der Personalie Müller - er rückt zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden der Glaubenskongregation der päpstlichen Kurie zu Rom auf - ist zu entnehmen, dass mit einem strengeren Durchgreifen hinsichtlich Kirchenräson, Abweichlern und Glaubensauslegung zu rechnen ist. Bei dem Frankfurter Kommunikationstheoretiker geht es mehr um die Grenzen des liberalen Staates und dessen Bedrohung durch allerlei Anfechtungen aus den Kraftzentren der Gesellschaft, namentlich die individualistische Auflösung des Gemeinwesens und die Vorherrschaft von Wirtschaftsinteressen. Religion, so die Überlegungen des Altbarden verschachtelten Denkens, könnte dem zerstörerischen Auseinanderstreben der Gemeinschaft Einhalt gebieten und Zusammenhalt stiften.
Dem Glaubenspräfekt Müller wird das gefallen, allerdings befindet er sich ebenfalls in Sorge angesichts der doch zahlreichen Herausforderungen in der säkularen Welt, angefangen bei der Krise Europas über Friedensgefahren, Gefährdung der Religionsfreiheit und der Menschenrechte,bis zu ethischen Fragen, die der wissenschaftliche Fortschritt - Stichwort Stammzellenforschung - auftischt. Angesichts seiner Amtseinführung hat er ein bißchen den Teppich gehoben und gibt Einblick in die Sichtweise der Amtskirche. Im Kern sind alle Fairnisse nämlich ganz einfach zu lösen: Gott höchstpersönlich hat die Richtlinienkompetenz, seine Kinder haben dem zu folgen.
Und das soll sich lohnen? Aber natürlich. Der Gehorsam ist nunmal nötig, da der Mensch nicht nur aus Religion besteht, sondern von seinem Schöpfer mit zahlreichen Eigenarten ausgestattet wurde, die dem gottgleichen Ebenbildl entgegenstehen. Er ist Erdenwurm, der seinen Verstand nutzt, um sein Leben so gut es geht zu gestalten und dabei auch Einflüsterungen von bösen Mächte unterliegt. Das geht nun schon seit ein paar tausend Jahren so. Kein Wunder, dass Teile der Bevölkerung vom rechten Weg abkommen und mit atheistischen und säkularistischen Lebenskonzeptionen sowie rein innerweltlichen Lebenszielen die universelle Macht Gottes zurückdrängen.
Diese Gruppe der Sünder sind kein Hassobjekt der Kirche. Nach christlicher Lesart steckt nämlich ein bißchen Religion in jeder Meneschenseele. Das liegt einfach, dank göttlicher Formgebung, in der menschlichen Natur und manifestiert sich in vielen weltlichen Idealen und Glaubensäußerungen. Doch ohne den katholischen Ordnungsrahmen verflüchtigt sich die religöse Substanz in Zeitgeistmoden oder inkompetenten Heilslehren. Evangelium und Bibel, so schlussfolgert Müller ohne mit der Wimper zu zucken, sind das Absperrseil der Gesellschaft gegen Chaos, Krise und Leid in dieser Welt. Gott ist die konstitutive Macht, die alles zusammenhält und einer individualisierenden Gemeinschaft wieder Halt gibt - sofern man daran glaubt.
Dieses Heilsversprechen erscheint dem Frankfurter Soziologen Habermas immer plausibler. Vernunft hin, Wissenschaft her, es muss doch etwas geben, was den auseinanderdriftenden Gesellschaftsteilen genügend Klebstoff bietet. Der Staat, so kommt es dem Interaktionstheoretiker vor, verliert im Ringen um Solidarität und gesellschaftlichen Konsens immer mehr an Boden und die Wissenschaft kann ihren Heilsanspruch - er meint wohl das Wissen wo es langgeht - nicht einlösen. Zu viele Fragen lassen sich mit wissenschaftlichen Methoden verbindlich nicht beantworten. Ohne Antworten keine Kommunikation, ohne Kommunikation kein Konsens.
Für Habermas steht schon lange fest, dass vernünftiges Denken, wenn es denn gesellschaftswirksam sein will - und wer will das nicht - dem Potential religiösen Denkens zuwenden soll. Die alten Metaphysiker schwärmen vom guten Leben im Garten Eden. Warum soll man diese inspirierende Kraft nicht hier und heute nutzbar machen, zumal sich das moderne Denken vom uralten Heilsversprechen nach Erlösung abgekoppelt hat. Zugleich erschließt man sich eine Kraftquelle, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder einrenken könnte und sogar den Weg in Richtung einer künftigen Weltgesellschaft ebnet. In der Phantasie eines religiös entflammten Sozialphilosophen ist alles möglich. Mit einer Ausnahme: Grundlegende Rechtssysteme gehören in die Hände des Staates. Daran beisst sich auch die göttliche Vorsehung die Zähne aus.
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Krise im Dialog (3) - Schwere Kost
25.01.2012 - Ein kleiner Kreis in einer Cafe-Ecke, Innenstadt Wien. Soeben endete ein Vortrag über Menschen, Macht und Krise. Im Gespräch die Frage, warum es so schwer ist, die anhaltende Schuldenkrise und die drohende Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlagen moderner Staaten einzudämmen. Niemand will Patentrezepte an die wirtschaftlichen und politischen Chefetagen und Kommandozentralen verteilen. Das Gespräch protokolliert grundlegende Betrachtungen zum Krisengeschehen.
Auch nach fünf Jahren Krisenbekämpfung durch Freikauf der überschuldeten Finanzbranche und Sicheheitsgarantien in dreistellieger Milliardenhöhe zeichnet sich kein Ende ab. Sind die kreditbewirtschaftete Marktwirtschaft und die sie tragenden Staaten am Ende?
Nach Äußerungen maßgeblicher Volkswirte und Chefökonomen sieht es nicht danach aus. Alle Anstrengungen konzentrieren sich darauf, das Zahlungssystem und den Euro am Leben zu erhalten. Offenbar liegt die Euro-Rettung noch im Kalkül der Euro-Staaten, andererseits herrscht Streit über einzelne Maßnahmen und deren Wirkung. Griechenland, Portugal oder Irland sind ja völlig anders betroffen als Deutschland oder Frankreich. Bei den Griechen ist der Bonitätsverlust eingetreten, entsprechend verheerend sind die Auswirkungen. Verarmung der Bevölkerung, fortschreitende Erlahmung der Geschäftstätigkeit, Souveränitätsverlust auf der politischen Ebene. Die führenden EU-Nationen haben zwar auch gewaltigen Schrott im Keller, schaffen aber noch die Fristverlängerung bis zum nächsten Stresstest. Das kann man am Zinssatz bei Anleihe-Auktionen ablesen, aber auch am Auftritt maßgeblicher Politiker. Die Troika reist eben nach Athen und nicht nach Berlin.
Es sieht danach aus, als ob ökonomische Macht am längeren Hebel sitzt ...
Beim Thema Zerfall der Euro-Zone kann ich mir nicht vorstellen, dass Bank- und Konzernvorstände begeistert sind. Die Geschäftsgrundlage der Banker ist die Vewertung von eingesetztem Kapital und wenn das überwiegend Euros sind, ist eine Entwertung der Währung gleichbedeutend mit der Gefährdung ihres Unternehmenszwecks. Rendite muss die von Staatsseite eingerichtete und beaufsichtigte Wirtschaft schon hergeben. und das tut sie auch in Krisenzeiten. Macht bedeutet in diesem Zusammenhang einfach Sicherstellen des Geschäfts. Und da ziehen Finanzwirtschaft und Staat an einem Strang, die einen wollen gute Bilanzen auf dem Tisch, die anderen Wachstum sehen. Unterschiede gibt es allerdings in der Aufgabenstellung. Politiker managen den ganzen Laden, Banker wollen Geld vermehren. Das ist zwar auch nicht ganz unwichtig, deckt aber längst nicht den Bereich hoheitlicher Aufgaben ab. Der Staat sitzt im Zweifelsfall immer am längeren Hebel. Er ist Gesetzgeber, oberster Befehlshaber und Geldgarant in einem. Den Wert des Geldes kann er allerdings nicht per Verordnung festlegen. Da ist der Staat auf seine Wirtschaft angewiesen, die täglich gewissermaßen beweisen muss, dass sie Wertschöpfung zustande bringt. Läuft diese ganze Verwertungskette einschließlich Geldrückfluß aus den Verkäufen findet Wachstum statt. Platzen die Geschäfte, schrumpfen auch die staatlichen Bilanzen. Anders ausgedrückt: Dem Souverän schwinden die Kräfte.
Kommen wir auf die Krise zurück. Verstehen Sie überhaupt, was da passiert?
Wenn Sie sagen, da schaufeln alle an ihrem eigenen Grab, dann ist das weder richtig, noch falsch. Dass Spekulanten am Finanzmarkt auf zukünftige Geschäfte setzen und dabei traumhafte Gewinne einstecken ist doch ein sehr ehrenwerter und gesellschaftlich hochangesehener Beruf. Erst wenn sich die Verluste häufen, Misserfolge einstellen, rümpgfen einige die Nase. Krise tritt eigentlich erst in den Kreis der Wahrnehmung, wenn Zinslasten die normale Geschäftstätigkeit beeinträchtigen, also Zahlungsschwierigkeiten nicht vereinzelt sondern in steigendem Maße auftreten. Die übliche Reaktion auf so eine Situation ist die Stundung von Gläubigerforderungen also der zeitliche Aufschub von fälligen Zahlungen. Auch das ein völlig übliches Verhalten zwischen Banken, Unternehmen und auch Privatmenschen. Dazu versucht jeder Geschäftsmann, wenigstens mit Krediten, also Neuverschuldung, die alten Schulden soweit auszubügeln, dass man in seiner unternehmerischen Existenz weitermnachen kann. Dann wird zwar der Preis fürs Weitermachen höher, aber es gibt ja noch genügend Handlungsspielraum, um sich lukrative Aufträge zu sichern, die Kosten zu optimieren und den Produktionsausstoß hochzufahren. Soweit ist mir das geläufig. Warum Schulden, die ja immer als Schmiermittel für Wachstum angesehen werden, plötzlich ins Gegenteil sich verkehren, ist schwer nachzuvollziehen. Eine Mischung aus Machtverschiebungen global vernetzter Geschäfte, sich häufender Misserfolge, kriegsbedingter Finanzbelastungen und widerstreitender Interessen schätze ich. Für sich genommen gewöhnlicher Alltag aber mit ganz schöner Sprengkraft.
Das Verhältnis von Schulden und Ertrag unterliegt generell den Marktschwankungen sowohl im Warenhandel als auch im Finanzbereich. Jeder Konzernbericht weist aber in normalen Jahren eine Ertragssteigerung aus, das gilt auch für das jährlichie Bruttoinnlandsprodukt und all die anderen Leistungsindikatoren.
Sie sind ja sehr optimistisch, was die Ertragsseite betrifft. Sicherlich sind die Jahresbilanzen der Industrie und der Dienstleister sehr gut, dem steht aber eine Staatsbilanz gegenüber, die alles andere als beruhigend ist. In Deutschland summiert sich die Schuldenlast auf zwei Billionen Euro, dagegen ist Griechenland ja geradezu ein Musterknabe. Verbindlichkeiten dieser Größenordnung sind unvereinbar mit der Vorstellung von blühenden Landschaften. Wollte der Staat seine Schulden begleichen, müsste er von seinen Bürgern zwei Billionen Euro eintreiben. Das käme der Vernichtung von Vermögen in ähnlicher Größenordnung gleich. Das Geld landet auf Gläubigerkonten im In- und Ausland. Das hört sich zwar wie ein einziger Verschiebebahnhof an, aber tatsächlich hat das Geld den Besitzer gewechselt. Der Staat müsste dann sofort wieder die Kreditmaschine anwerfen, um den Vermögensentzug in Bahnen zu halten, von denen keine Gefahren für die Wirtschaftstätigkeit und damit für Steuereinnahmen ausgehen. Die Entschuldung provoziert die Neuverschuldung.
So, jetzt bestellen wir erst mal eine Runde, bevor wir weitermachen ….
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Im Dialog: Krise ohne Ende (2)
03-11-2011/abeu - Wir sitzen in einem Cafe in Salzburg, das Wetter hat bessere Laune als die Stimmung am Tisch. Es geht um das Referendum der griechischen Regierung und den aktuellen Verlauf der Krise. Die erste Frage zielt auf die Reaktionen der EU-Staaten angesichts der Ankündigungen aus Athen.
Die griechische Staatsregierung hat schwere Betroffenheit bei den führenden EU-Politikern ausgelöst – ist eine Volksabstimmung nicht ein legitimes Mittel in einer Demokratie?
Ja natürlich. Aber eigentlich spielt das keine Rolle und zwar auf beiden Seiten. Die Euro-Gruppe will mit ihren Beschlüssen die Finanzmärkte beruhigen indem sie Athen mit allen Mitteln auf einen Euro-konformen Kurs zwingt. Wie das aussieht steht unmißverständlich in den Auflagen, die mit den Kredittransfers verbunden sind, also Sparkurs, Privatisierung, Entlassungen und Wirtschaft ankurbeln. Da geht es nicht um Demokratieideale sondern um Realpolitik. Jedem ist klar, dass die Brüsseler Beschlüsse kein Freundschaftsdienst sind sondern ein beinharter Eingriff in die griechische Gesellschaft und die staatliche Souveränität, auch wenn manchmal von einem großzügigen Angebot die Rede ist. Das aber ist Schönfärberei.
Trotzdem gleicht der Vorstoß einem politischen Eiertanz, der mehr riskiert, als notwendig.
Papanderou bleibt nichts anderes übrig, als die Programmpunkte seiner europäischen Partner Punkt für Punkt umzusetzen. Da ist reichlich Führungsstärke gefragt, die er und seine Partei einfach nicht haben. Deshalb die Vertrauensfrage und das Referendum. Ein nicht ganz ungeschickter Schachzug, denn eine Volksabstimmung hat auch Hebelwirkung, die dem Premier den Rücken stärken könnte. Ansonsten Amtsverzicht an der Regierungsspitze wegen allzu heikler Aussichten mit Blick auf die Durchsetzung der Auflagen. Zyniker sagen auch, dass in der Euro-Liga der erste Abstiegskandidat gefunden wurde.
Die Rettungsbemühungen geraten ja offensichtlich immer mehr zu einer Aufräumaktion unter den Mitspielern der Währungsunion …
Das sieht tatsächlich nicht sehr entspannt aus. Um den Euro als starke Währung und damit auch als starke Marke auf den Finanzmärkten zu erhalten, das ist ja das erklärte Ziel von Angela Merkel, müssen alle Mitgliedsstaaten ihren Beitrag leisten. Nur wer stellt eigentlich die Regeln auf, wer sagt, was ein Land zum Euro-Erfolg beizutragen hat? Nach dem bisherigen Krisenverlauf sind es eigentlich die Finanzmärkte, die den Takt vorgeben. Die Eckwerte aus dem Maastricht-Vertrag sind ja schon länger de facto außer Vollzug. Anleihen, die bis zu einem gewissen Grad den Handlungsspielraum eines Staates festlegen, sind ihrem Wert nach das Ergebnis von Spekulation. Ihre Marktrendite wird täglich im Handel ermittelt. Geldhändler und deren Geschäftsmotive entscheiden folglich darüber, was Staatsanleihen wert sind. Das stört Staaten überhaupt nicht, denn sie haben ja Markt und Währung selbst ins Leben gerufen und sie wollen Markt und Währung mit allen Mitteln verteidigen.
Können Sie das eigentlich gut heißen?
Es ist manchmal schwer nachvollziehbar, was da eigentlich passiert. Einerseits sind die Banken und das Finanzkapital vom Wohlwollen der Staaten und deren politischen Wachstumsprogrammen abhängig, andererseits entscheiden Geldbesitzer und Investoren über die Handlungsfähigkeit der Staaten, die sich an den Euro gebunden haben. Mir scheint da ringen sehr potente Parteien in einem harten Schlagabtausch um die Sicherung von Einflußsphären. Von Rettung eines in Not geratenen Nichtschwimmers kann da eigentlich nicht die Rede sein.
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Im Dialog: Krise ohne Ende (1)
14-10-2011/abeu - Im folgenden findet sich die Zusammenfassung von Gesprächen, die einem schillernden Thema nachgehen. Zu Wort kommen ein Volkswirtschaftler, ein Gesellschaftswissenschaftler, ein Sozialphilosoph und ein Normalverbraucher. Es handelt sich um Interviews, die zu einem Gespräch aus- und umgebaut wurden und insofern keine wörtliche Wiedergabe darstellen. Der rote Faden ergibt sich aus den Fragen und Antworten.
Der Sozialphilosoph Jürgen Habermas spricht von einem Konstruktionsfehler der Währungsunion, Peter Sloterdijk, Rektor der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe sowie Professor für Philosophie und Ästhetik, sagt, man müsse die Realität der Krise erst mal im Ernst begreifen und fügt in einem Interview hinzu, dass die Art und Weise, wie regierende Hausmeister im Dunkeln Megamilliarden hin- und herschieben, (…) eine Beleidigung für jede Intelligenz sei. Was ist dran am Konstruktionsfehler und sind Sie beleidigt angesichts milliardenschwerer Interventionen durch die Politik?
Der Konstruktionsfehler ist nicht unbekannt und wird seit dem Gründungsakt des gemeinsamen EU-Marktes vor mehr als zwanzig Jahren immer wieder zitiert. Ich erinnere mich, dass schon sehr früh kritische Stimmen den Rückschnitt der Idee eines vereinten Europas auf eine reine Freinhandelszone bemängeln. Europa ist in der Hauptsache EU-Markt. Einfach gesagt, schließen sich konkurrierende Staaten zu einer Union zusammen und unterbinden damit nicht ihre Konkurrenzsituation, sondern verschärfen sie sogar. Mit dem Euro unterliegen sie einem gemeinsamen Wertmaßstab, der ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Produktivität und Erfolg unmittelbar, also ohne nationalstaatliches Dazwischentreten festhält. Wachstum wird in Euro gemessen, egal ob es in Italien, Griechenland, Irland oder Deutschland stattfindet. Der egalisierte Erfolgsmaßstab trifft auf sehr unterschiedliche Volkswirtschaften, offensichtlich war man sich in Brüssel aber einig, dass Ausgleich vor allem durch Subventionen möglich ist. Die gemeinsame Währung nutzt natürlich demjenigen, der es versteht, aus dem ihm zur Verfügung stehenden Euro-Kredit ein Plus zu schlagen. Das haben alle nach Kräften gemacht und den gemeinsamen Währungsraum mit ihren Produkten und Dienstleistungen aufgerollt mit dem Ergebnis, dass es Gewinner und Verlierer gibt.
… das erklärt aber nicht die krisenhafte Verlaufsform von der Bankenschwäche bis zur Staatsverschuldung und der Euro-Krise.
Doch, das ist in diesem Ausgangspunkt enthalten. Denn die Staaten sind ja nicht von der Bühne abgetreten und haben es ihren Wirtschaftsakteuren überlassen, was am EU-Markt passiert. Sie haben kräftig mitgemischt und ihre Wirtschaft mit Krediten versorgt, die sie selbst bereitstellten oder bei der Europäischen Zentralbank beantragen mussten und auch geflossen sind. Alle Beitrittsländer sehen im Euro-Markt Chancen für eigenes Wachstum. Dasselbe gilt für die Geldbeschaffung via Anleihen. Das Kraftwerksgeschäft in Griechenland oder der Aufbau von modernen Kommunikationsnetzen sind Großprojekte an denen Konzerne gutes Geld verdienen, besichert durch nationalen Kredit, EU-Subventionen und Investorengelder und alles in Euro, also ohne Wechselkursrisiko. Dass solche Geschäfte Spekulanten anziehen und Banken beispielsweise in großem Stil griechische Staatsanleihen kaufen, um sie als eigene Finanzprodukte wieder zu kapitalisieren, ist ja kein Systemfehler, sondern Geschäftsbasis für die Finanzmärkte.
Wieso kommt es dann zu einem milliardenschweren Verschiebebahnhof, an dessen Ende sogar Staatshaushalte Gläubigerschutz benötigen?
Der stärkste Druck geht von den Finanzmärkten und den Ratingsagenturen aus. Mit jedem Kredit und jeder Anleihe ist der Anspruch an Rückzahlung und Zins gebunden, die während der Laufzeit des Kredits erwirtschaftet werden müssen. Dieses Versprechen, auf das Investoren vertrauen, erhielt im Verlauf der Finanzkrise ein dickes Fragezeichen. Der Lehmann-Crash und die darauf einsetzende Vernichtung von Vermögen in großem Stil bis hin zur heutigen Lage der Euro-Zone basiert letztlich auf nicht bedientem oder nicht mehr bedienbarem Kredit. Das betrifft sowohl Geschäfts- als auch Staatsschulden. Aus Sicht der Finanzakteure ist es höchst unwahrscheinlich, dass sich der Schuldenüberhang einzelner Staaten durch nationales Wachstum und vermehrte Steuereinnahmen ausgleichen lässt. Also wird Geld umgeschichtet, nach neuen Anlagensphären gefahndet oder gegen den Euro spekuliert, um daraus vielleicht das ein oder andere Plus zu ziehen. Die Ratingagenturen sind im Fall von Staatshaushalten eigemtlich nichts anderes als volkswirtschaftliche Bonitätsprüfer, die den Investoren Rahmendaten liefern.
Kommen wir zurück auf die Hausmeister und die Milliardenbeträge, die sie hin- und herschieben. Es geht dabei ja nicht nur um Liquidität und Zahlungsfähigkeit, sondern hauptsächlich um Sicherheiten für Geldbesitzer und Kreditwirtschaft.
Ein besicherter Geldumlauf ist die notwendige Voraussetzung für funktionierende Geschäftsmodelle. Das eigenartige dabei ist allerdings, dass bei erfolgreichem Geschäftsverlauf niemand danach fragt, ob dieser mit Schuldtiteln oder Eigenkapital angestoßen wurde. Im Gegenteil. Der kreditfinanzierte Anteil am Wachstum liegt bei nahezu 100 Prozent, Eigenkapital ist lediglich ein marginaler Sicherheitspuffer. Was Politik, Notenbank und Bankenaufsicht machen ist der Versuch, mit enormen Summen die Vertrauensbasis in das Kapitalmarktgeschäft wieder herzustellen. Der ökonomische Sachverstand fühlt sich dabei keineswegs beleidigt. Denn ohne Bad Banks und frischer Kreditausstattung wäre der Wirtschaftskreislauf überhaupt nicht wieder in Gang gekommen. Die Bedrohung durch Konkurs großer Bankhäuser und damit verbundener Kettenreaktionen ist wegen der Höhe der Schulden, die in den Büchern schlummern, ausreichend, um eine ganze Volkswirtschaft aus dem Tritt zu bringen.
Wenn es um die Absicherung von Geldwert, Anleihen und anderen Wertpapieren geht ist das nicht nur eine finanztechnische Frage. Denn die milliardenschweren Bürgschaften für notleidende Staaten bedeuten eine politische Belastung der Unionspartner. Um den Wert von Staatspapieren eines als kreditunwürdig eingestuften Staates zu garantieren, müssen finanzstarke Staaten ihren eigenen Haushalt überziehen. Das kommt eigentlich einer Umschichtung von Schulden der schwachen EU-Mitglieder auf die noch geschäftsfähigen EU-Staaten gleich – und schwächt deren Haushaltslage. Geht der Schuss nach hinten los?
Das kann man so sehen. Streng genommen widerspricht so ein Rettungsplan allerdings der ökonomischen Logik. Wenn Staaten mit intakter Geldversorgung die Schulden von anderen Staaten übernehmen, deren Kreditwürdigkeit in Frage steht, konterkarieren sie die Risikobewertung durch die Investoren. Die Probleme potenzieren sich sogar, denn um die Wertstabilität von Anleihen, Geld und anderen Finanzprodukten zu erhalten, müssen sie entwertet werden. Wie soll das gehen? Das Schuldenstreichen bedeutet nun mal Verlust mit den damit verbunden Turbulenzen. Jeder Geschäftsmann versucht das zu vermeiden.
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Riots ohne Ende
10-08-2011/abeu – Pure Kriminelle, getrieben von der blanken Lust an Zerstörung, so die offizielle Lesart, die der englische Premier David Cameron der Weltöffentlichkeit mitteilt. Dazu das Aufstocken der Polizeikräfte auf 16 000 Mann allein für London mit der Anweisung, die Ordnung in den Stadtvierteln wieder herzustellen. Das war´s denn auch. Die randalierenden Jugendlichen, die über die Stränge schlagen, erhalten eine Lektion in Sachen öffentlicher Ordnung und Respekt vor Eigentum. Und während Strafverfolger unter dem Beifall der Öffentlichkeit Jagd auf Randalierer machen, planen die Sicherheitsbehörden schon die nächsten Maßnahmen: Mehr Kontrolle der Elendsviertel und der sozialen Netzwerke, vielleicht auch Aufstockung der Gefängniskapazitäten und Überprüfung der gesetzlichen Handhabungen.
Die Aufräumarbeiten an der Basis treffen Jugendliche, die nichts zu Lachen haben. Drastische Sparprogramme verschärfen den täglichen Überlebenskampf, der immer aussichtsloser wird. Kaum mehr vorhandene Jobangebote bei ständig sinkendem Einkommensniveau. Auf einen Gutverdiener kommen hunderte mäßig bis schlecht bezahlte Mitarbeiter, die volle Leistung bringen müssen, um nicht ganz raus zu fallen. Dazu ein sich vergrößernder Bodensatz an Ausgemusterten, denen nicht nur die Lebensperspektive abhanden gekommen ist, sondern die gar nicht so richtig in Tuchfühlung mit einem geregelten Arbeitsleben gekommen sind – und wahrscheinlich auch nie kommen werden.
„Wir holen uns, was uns zusteht“, soll ein Kapuzenaktivist gesagt haben. Dann ging es los, um Elektronikläden zu stürmen oder das Schuhlager einer Verkaufskette zu plündern. Im Land des Punk und der No-Future-Generation standen plötzlich auch Autos und Häuser in Flammen. Das alles erinnert an die Krawalle in den Pariser Banlieus oder die Ausschreitungen in Athen. Aber auch an Hooligans aus der Südkurve oder vandalisierende Gruppen auf Bahnsteigen, Rummelplätzen und in Zügen. Mehr als ein Ventil um Wut abzulassen ist das nicht, aber ein Hinweis auf sehr unzufriedene Kreise der Bevölkerung.
Einfach zu nehmen, was man braucht ist natürlich ein schwerwiegendes Missverständnis in einer Gesellschaft, die zwar Überschüsse an Waren kennt, den Zugang dazu aber über Geld regelt. Pech für denjenigen, der keines hat und schrankenlose Freiheit für andere, die genügend davon haben. Wer ein Handy mitgehen lässt ohne an der Kasse zu bezahlen ist ein Kleinkrimineller. Wer darüberhinaus noch die Scheibe einschlägt und die Ladeneinrichtung zertrümmert gibt sich als handfester Krimineller zu erkennen. Ihn trifft die Wucht des öffentlichen Rechtsempfindens, der moralischen Empörung und die auf den Fuß folgende polizeiliche Verfolgung zur Wiederherstellung verletzter Gebote.
Soweit bewegt sich Aktion und Reaktion auf eingeübten Wegen. Was unter den Tisch fällt ist der Ausgangspunkt für den Kapuzenmann. Der kommt mit seiner martialischen Tour nie und nimmer an die schönen Dinge, die er so gern haben will oder von denen er meint, dass sie zu einem normalen Leben einfach dazugehören. Stattdessen übersieht er die Kleinigkeit, dass er sich an fremdem Eigentum und den Interessen, die der rechtmäßige Eigentümer damit verbindet, vergeht. Um teilnehmen zu können am gesellschaftlichen Leben und an den schönen Sachen, die das Leben so lebenswert machen, muss er den Umweg über das Geldverdienen beschreiten oder qua Elternhaus über eine ordentliche Apanage – der monatliche Sozialhilfescheck reicht nicht – verfügen.
Natürlich liegt es an ihm, wenn er die Sache nicht auf die Reihe bringt und aus der Reihe tanzt. Auch wenn er die Verhältnisse so nicht eingerichtet hat – bewegen muss er sich darin, wie jeder andere auch. Sucht er andere Wege, gibt es nur die schiefe Bahn. Dort tummeln sich alle möglichen Existenzen vom betrügerischen Nadelstreifenträger bis zum Paradiesvogel, ordinären Knacki bis zu mafiösen Rotlicht-Königen. Hält der Kapuzenträger nicht viel von dem eher traditionell geprägten Milieu gibt es noch die Drogenszene mit den unangenehmen Begleiterscheinungen gesundheitlicher Gefährdung und seelisch wie körperlichen Niedergang. Auch dort dreht sich alles ums Geld schon wegen dem regelmäßigen Nachschub und der teuren Beschaffung.
Allerdings ist es eine falsche Schlußfolgerung der aufmüpfigen Straßenkämpfer, zu meinen, es stehe ihnen etwas zu, das sie sich bei Verweigerung einfach nehmen. Die Spielregeln, wie man sich aufzuführen hat, sind längst festgelegt und haben Verfassungsrang. Der Rahmen, in dem der Punk sich bewegen darf und in dem er sich zu bewähren hat ist vorgegeben, selbst wenn es manchmal den Anschein des Gegenteils hat. Vielleicht macht das dem Kapuzenmann so zu schaffen, dass er ausrastet. Ganz sicher aber ist er kein verantwortungsloser Faulpelz, der vor lauter Anspruchsdenken vergisst zur Arbeit zu gehen. Wohin auch?
Unterdessen verfestigt sich das Bild von den marodierenden Banden in London, Liverpool und Birmingham zu dem, was immer zu hören ist, wenn Looser am Werk sind: Die Sozialproteste sind ordnungsmissachtende Eingetumsdelikte und damit undemokratische Umtriebe. Auf diese Sicht zieht sich in der allgemeinen Wahrnehmung alles zusammen, untermalt von den brennenden Häusern, gröhlenden Jugendlichen und hilflosen Polizisten. Die Regierungen ziehen durch, was sie für nötig halten und die Gesellschaft hofft, dass alles gut geht oder mobilisiert Bürgerwehren samt national gestimmten Gegenaktivisten. Störungen aus der Unterschicht sorgen zwar für Aufregung, aber das sind ja ohnehin Abgekoppelte, die es wegen ihrem brandschatzenden Aufruhr in die Nachrichten geschafft haben.
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Nachtrag Geist & Macht
Die Guttenberg-Story ist zwar noch am Laufen, aber ein Ergebnis ist festzuhalten: Das Amt ist weg und die Schäden können sich sehen lassen. Die Eloquenz und der Charme des Adligen haben den betreuenden Doktorvater Peter Häberle derart aus dem Konzept gebracht, dass die Süddeutsche Zeitung dem Professor gleich eine Seite 3 einräumt und einen ausgewiesenen Vorzeigereporter (Heribert Prantl) auf Spurensuche schickt.
Das Ergebnis lässt sich knapp zusammenfassen: Der Rechtsgelehrte steht fassungslos vor dem größten Täuschungsmanöver, das ihm in seiner Laufbahn als hochdekorierter Wissenschaftler untergekommen ist.
Der biedere Rechtsexperte, den Prantl als „Polyhistor“ und „Genius Universalis“ bezeichnet, hat mit wissenschaftlich geschultem Verstand dem frisch gebackenen Bundestagsabgeordneten das summa cum laude umgehängt. Für eine Leistung, die aus dem Zusammenfügen von Textbausteinen aus allen möglichen Quellen besteht. Mit Wissenschaft hat das Aneinanderreihen von Suchmaschinenergebnissen nichts zu tun. Für was aber hat Peter Häberle den Herrn zu Guttenberg denn ausgezeichnet – diese Frage ist bislang ungeklärt.
Fest steht, der „Weltgeist“ hat sich von einem aufstrebendem Politiker auf´s Kreuz legen lassen. So einfach ist das, wenn sich der politische Durchsetzungswille den passenden Auftritt samt dazugehöriger charakterlicher Maskerade zulegt und damit jeden Zweifel an der eigenen Integrität als Macher und Denker ausräumt.
Die Frage, was Geist & Macht zusammenbringt, wer im Kollisionsfall unterliegt und wie sich das Verhältnis von Politik und dem Rest der Welt darstellt, ist noch nicht beantwortet. Vielleicht ist es mühsig darüber nachzudenken, vielleicht fällt anderen dazu was passendes ein. Immerhin sind sich Spitzenvertreter zweier nicht ganz unwichtiger gesellschaftlicher Bereiche begegnet und haben gezeigt, was sie voneinander wollen. Vorsichtig gesagt: Der eine den akademischen Ritterschalg, der andere ein bißchen vom Glamour der herrschenden Eliten.
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Geist & Macht
Der Verteidigungsminister verhält sich nicht anders, wie jeder erfahrene Rechtsanwalt bei Entdeckung einer möglichen Regelwidrigkeit empfieht: Den Plagiatsvorwurf energisch zurückweisen und andeuten, dass vielleicht Missverständnisse den Eindruck hervorrufen, dass bei der Doktorarbeit etwas schief gelaufen sei. Damit der Fleck auf der weißen Weste nicht zu große wird, noch - als kleines Zugeständnis an die Gegenseite - den Titel vorübergehend auf Eis gelegt. Das wars. Vielleicht kurz noch ein wehmütiger Gedanke an die akademischen Meriten, die so gut zur Karriereplanung und zum Adelstitel passen - aber den kann ja kein Gericht streichen.Warum ein erfolgreicher Politiker die akademische Zierde sucht und dabei darauf verfällt, eine wissenschaftliche Arbeit mit fremden Gedankengut ohne Quellenangabe praktisch nebenbei zu verfassen, ist seltsam. Entweder hält der Mann wissenschaftliches Nachforschen und Analysieren ohnehin für überflüssig, weil es nur Zeit kostet und außer dem Titel nichts Verwertbares für den Job einbringt. Oder er braucht Argumentationshilfe, die es schnell und seitenfüllend per Mausklick im Internet gibt. Vielleicht gehört so ein Vorgehen zur Pragmatik eines vielbeschäftigten Leistungsträgers, der es gewohnt ist Aufgaben zu delegieren und sich die gewünschten Resultate auf den Schreibtisch legen zu lassen, auch wenn sie manchmal etwas spät eintrudeln wie beim Luftschlag des Oberst Klein nahe Kundus.
Zweifel an den intellektuellen Fähigkeiten des Freiherrn Karl-Theodor zu Guttenberg indes sind aus der Luft gegriffen. Das entkräftet einmal der Lebenslauf, der zwar gradlinig aber nicht ganz ohne Stolpersteine direkt in die Führungsetage der Republik führt. Zum anderen ist der Terminplan des Außenministers sehr eng beschnitten, so dass der ruhigen Entfaltung wissenschaftlicher Gedanken und schlüssiger Argumentationslinien neben dem aufreibenden Alltagsgeschäft schlicht die Zeit fehlt. Der Dienst am Vaterland und das richtige Timing für die Einsatzbefehle der Truppe degradiert doch eine Dissertation bei allem Respekt zur schöngeistigen Sonntagsübung.
Schwerwiegender ist die Stellung zum wissenschaftlichen Arbeiten und der Verbindung von Geist und Macht. Offenbar schätzt der Amtsinhaber im Verteidigungsministerium am Wissenschaftsbetrieb eines: die Strahlkraft eines professoral beglaubigten Ehrentitels. Auf akademisches Wissen kommt es in der Politik nicht an, wie die Süddeutsche Zeitung bemerkt. Das heisst nicht, dass Machtinhaber nicht denken. Im Gegenteil, sie analysieren die Lage, bewerten die vorhandenen Mittel und entscheiden ganz praktisch. Hier geht’s lang, dort wollen wir hin, jetzt aber los. Dafür ist eigentlich nicht mal ein Abitur erforderlich. Trotzdem schmücken sich gern eine ganze Reihe von Politikern mit den Weihen einer Universitätsausbildung. Offenbar fühlt sich in der politischen Arena mancher wohler, wenn er beim Erklimmen der Karriereleiter ein Uni-Zertifikat in der Schublade hat – egal wie man es kriegen kann.
Als pikanter Nebeneffekt des ministeriellen Vorgehens ist die Universität Bayreuth selbst in die Löwengrube gefallen. Die Professoren zeichnen die Arbeit des Freiherrn mit einem "summa cum laude" aus und adeln damit gleich Textpassagen mit, die aus Zeitungen oder einem Reiseführer stammen. Wissenschaft auf der Höhe der Zeit oder Qualitätverlust bei der geistigen Elite?
<<13.01.2011>> <<blog>> <<abeu>>
Arithmetisches Mittel
In der Gesellschaft leben jede Menge Underdogs, die täglich damit beschäftigt sind, ihr Überleben in den Griff zu bekommen ohne den nächsten Supermarkt zu entern. Ihr Einkommen sind Geld- und Sachbezüge aus der öffentlichen Armenkasse mit dem sie auskommen müssen. Die Höhe des Lebensunterhalts hängt maßgeblich von den Festlegungen des zuständigen Arbeitsministeriums ab. Die derzeitige Kassenhüterin, Ursula von der Leyen, musste auf Grund einer Intervention des Bundesverfassungsgerichts die Hartz-IV-Sätze neu anpassen und siehe da, es steht ein neuer haushaltsverträglicher Höchstbetrag im Raum, nämlich fünf Euro mehr als bisher.
So sang- und klanglos wollen Opposition und Wohlfahrtsverbände die Neuregelung dem Ministerium nicht überlassen. Falsch gerechnet, tönt es aus den SPD-Reihen und auch die Finanzmathematiker der Wohlfahrtsverbände fangen an, die Berechnungsmethoden von Regierung und Statistischem Bundesamt anzuzweifeln. Der somit eröffnete Streit verwandelt die Diskussion um Armut in Deutschland in eine arithmetische Schulübung deren Ergebnis davon abhängt, was rechts und links der Gleichung einfließt. Mathematisch hat das Ministerium natürlich nicht falsch gerechnet und am Ende kam genau das Ergebnis heraus, mit dem das Regierungsressort in punkto Mehrausgaben leben kann.
Den haushaltskompatiblen Betrag für die 4,8 Millionen Hartz-IV-Empfänger durch eine andere Rechenvariante in Frage zu stellen ist mehr als müßig. Das Raus- und Reinrechnen von Daten aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben führt natürlich zu anderen Zahlen. Doch was hat man damit eigentlich bewiesen? Sicherlich nicht, dass sich Sozialhilfeempfänger auch mit 394 Euro in einer trostlosen Zwangslage bewegen.
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<<20.12.10<< <<abeu>> <<blog>>
Risse im Ich
Da haben sich französische Oppositionelle schwer ins Zeug gelegt und eine Schrift vorgelegt, die kein gutes Haar an der gegenwärtigen Ordnung lässt. Die unbekannten Schreiber kommen zu einem vernichtenden Urteil: "Das Erhalten des Ich in einem Zustand permanenten Halb-Verfalls, chronischer Halb-Ohnmacht ist das bestgehütete Geheimnis der aktuellen Ordnung der Dinge." Die Autoren des französischen Buches "Der kommende Aufstand" nehmen kein Blatt vor den Mund, wenn sie an allen Ecken und Enden der Gesellschaft immer dieselben zerstörerischen Kräfte am Werk sehen. Es geht gegen die Menschen, die in Verhältnisse gezwungen werden, die nichts mehr von ihrer ursprünglichen Identität übrig lassen. Die ganze bürgerliche Welt ist zu einer grotesken Eismumie erstarrt, ein "leerer Raum, eiskalt, nur noch durchquert von registrierten Körpern, automobilen Molekülen und idealen Waren."
Natürlich sind das Worte, die einem gut geerdeten Mitglied der Gesellschaft niemals über die Lippen kommen. Es ist der Blickwinkel von Kritikern, die der linksmilitanten Szene entstammen, wie Nils Minkmar Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bemerkt, allerdings um dem offen aufständischen Charakter der militanten Prosa eine gewisse Nähe zum Zeitgeist zu bescheinigen: "Auch in „Der kommende Aufstand“ geht es um die Ausweglosigkeit eines immer subtiler operierenden kapitalistischen Systems, um die „Ausweitung der Kampfzone“: von den Schlachtfeldern und den Märkten ins Private, Körperliche und Intime, um die Kolonisierung von Gedanken, Gefühlen und Genüssen durch den postmodernen Kapitalismus."
Die Aufständischen in Frankreich halten sich indes nicht lange beim postmodernen Kapitalismus auf. Sie haben ganz andere Bilder vor Augen, als das Hin und Her beim Geschäftemachen oder die staatlichen Rettungsmaßnahmen zur Stabilisierung der Währung. Für sie ist die ganze Gesellschaft ein monströser Verführungsapparat, der mit Zuckerbrot und Peitsche heftig wütet und jeden lebensfreudigen Mitmenschen seiner ureigenen Bedürfnisse beraubt. Die Folge ist ein moderner Bourgeois, der lediglich eine blutleere Hülse repräsentiert, gut durchgestylt und pflegeleicht, ein fremdgelenktes Mainstream-Wesen eben, das macht, was es soll. Das kann doch nicht gut gehen, ahnt jeder Leser - sowohl für den Einzelnen, der merkt, dass er seinen inneren Zusammenhalt verliert und für jene scheinbar obsiegenden Kräfte, die jene menschliche Existenz zerstören, auf die sie angewisesen sind, von der sie ganz gut leben.
Allerdings sieht es auf der Gewinnerseite in den Augen der französischen Gesellschaftstkritiker überraschenderweise auch sehr öde aus. Die Autoren sind felsenfest überzeugt davon, dass den bestehenden Institutionen und dominierenden Eliten eine selbstzerstörerische Tendenz innewohnt, die dem Leidensdruck der geknechteten Seite ausgesetzt, aber nicht gewachsen ist. Im Text heisst es unmißverständlich: "Diese Gesellschaft wird bald nur noch durch die Spannung zwischen allen sozialen Atomen in Richtung einer illusorischen Heilung zusammengehalten. Sie ist ein Werk, das seine Kraft aus einem gigantischen Staudamm von Tränen zieht, der ständig kurz vor dem Überlaufen ist." Schön gesagt, aber sehr bemüht. Denn die Gesellschaft atomisiert jeden soweit, dass er vielleicht Risse in seinem Ich bekommt, aber in den meisten Fällen realitätstüchtig bleibt, seinen Job erledigt, Frau oder Mann samt Kinder so weit es geht bei Laune hält, seine Steuern bezahlt und nach dem nächsten Karrieresprung Ausschau hält.
Dennoch nimmt die Geschichte eine andere Wendung als erwartet: Es ist nämlich nicht die mangelnde Integrationsfähigkeit des aufschreienden, weil geschundenen Ichs sondern im Gegenteil: Die perfekte Einbindung in das Hamsterrad von Produktion, Werbung, Herrschaft und Zynismus, die den Keim der Rebellion enthält. Die Leute merken, dass mächtige Bevölkerungsgruppen sich in einer Art Kriegszustand befinden mit dem Ziel, anderen Bevölkerungsteilen den letzten Rest an Lebensfreude zu nehmen. Als Beleg listen die Autoren etwas unscharf so ziemlich jeden und alles auf, was sie als tragendes Element der etablierten Verhältnisse ansehen. Damit ist eigentlich klar, das es nur einen Ausweg gibt: Im Aufstand findet das entkräftete und angepasste Ich wieder zu sich selbst und befördert das ohnehin absterbende Bürgertum mit einem letzten Tritt in die Recyclinganlagen der Geschichte.
Manche Passage in dem Buch liest sich wie die leidenschaftlichen Aufrufe eines Robespierre, Morelly oder des Volkstribuns Babeuf, der noch 1797 beim Gang zur Guillotine mit Inbrust verkündete: "Ich bleibe bei der Behauptung, die Revolution ist noch nicht durchgeführt." In anderen Passagen beschwören die Autoren die aufkeimende Subversion aus den sozialien Bewegungen, den Bonlieus und der großen Zahl an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Das eigentliche Kraftzentrum des kommenden Aufstandes aber liegt im Zerfallsprozess der vorherrschenden Verhältnisse: "Es gibt keinen Grund mehr zu warten – auf eine Aufheiterung, die Revolution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht, was kommt, sondern was da ist. Wir verorten uns bereits jetzt in der Bewegung des Zusammenbruchs einer Zivilisation."
Babeuf, der Weitermachen wollte, der die Revolution in Frankreich zu einem glücklichen Ende für alle - und nicht für eine neue Klasse an Profiteuren und Geldsäcken, wie er stets betonte - führen wollte, wurde einfach einen Kopf kürzer gemacht. Damit war es vorbei damit, was die Aktivisten und Volkstribunen der Jahre 1789 ff. nicht nur einmal geschworen haben, als sie in Paris und anderswo das Ancien Regime aus den Angeln hoben: "Wiederholen wir es nocheinmal. Das Leid hat seinen Gipfel erreicht; es kann nicht mehr schlimmer werden; es kann nur noch durch eine totale Umwälzung geheilt werden!" Das Zitat stammt aus dem Jahr 1795. Es war die Geburtsstunde der bürgerlichen Gesellschaft.
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<<22.11.2010>> <<abeu>> <<blog>>
Hängt sie höher
Das waren noch Zeiten, als jedes EU-Land im Keller die eigene Notenpresse hatte. Im Notfall konnte der Notenbankchef die nationale Geldmenge erhöhen und die Wirtschaft aus eigenen Ressourcen mit frischem Kreditgeld ausstatten. Dieser Weg ist den Iren verwehrt. Ihre Geschäftsfähigkeit hängt auf Gedeih und Verderb an den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank, denn aus eigener Kraft kann sich der irische Staat – und mit ihm der gesamte irische Finanzsektor samt Unternehmenslandschaft – nicht mehr refinanzieren. Seit Donnerstag prüfen Experten des IWF und der Europäischen Zentralbank die irische Haushaltslage, bevor sie Details für einen Rettungsfonds vorschlagen, konstatiert spiegel online lapidar.
Die Insolvenzverwalter von IWF, EU-Zentralbank und EU-Kommission sind schon ausgerückt. Es gibt viel Häme für die Zauderer aus Dublin, denn jetzt wird endlich aufgeräumt im windigen Keltenreich, das viele Investoren angelockt hat, die Versprechen auf gute Geschäfte aber nicht einhalten konnte. In Scharen flüchten Anleger von der grünen Insel, heisst es, und Banker kriegen irische Staatsanleihen nur mit einem großen Risikoaufschlag an den Mann. Die Regierung hat die Reißleine gezogen und einen Multimilliardenkredit beantragt, rast aber trotzdem gegen die Wand, Kursrutsch bei den Banken, ein nahezu zahlungsunfähiges Finanzministerium - das Land gibt seine wirtschaftliche Souveränität wegen Bankrott auf.
Diesmal sind es nicht frivole Südländer mit vermeintlich mentalittätsbedingtem Hang zum Nichtstun, sondern sturmerprobte Nordlichter, die den ökonomischen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Das irische Problem ist bei genauem Hinschauen der Absturz in die Regionalliga nicht konkurrrenzfähiger Staaten, die nur per EU-Intervention überhaupt noch weiterspielen können. Die Hilfe, gegen die sich Dublin bis zuletzt gewehrt hat, bedeutet Rückgabe der Lizenz als EU-Player und Ende einer dereinst hoffnungsvoll angetretenen Karriere als Kapital- und Produktionsstandort für internationale Unternehmen. Im Land übernehmen die EU-Emissäre das Steuer und verpassen den Iren einen Maßnahmekatalog, der nichts Gutes für das Land, aber Erleichterung für die Gläubiger bringen soll.
Die sitzen zum überwiegenden Teil in Frankfurt, London. Paris oder Luxemburg. Längst häufen sich in den führenden Großbanken des Euro-Raums, namentlich der Führungsmacht Deutschland, die irischen Verbindlichkeiten in einer kaum mehr fassbaren Größenordnung. Das Schuldenvolumen ist so groß, dass sich das irische Problem nicht mehr durch eine normale Abschreibung und Streckung von Restschulden entschärfen lässt. Sprich, die führenden EU-Staaten verdonnern Dublin zu einem rücksichtslosen Schuldendienst, von dem sich Land und Leute nicht so schnell erholen werden. Wie tief im Fall Irland in das innere Geschehen eingegriffen wird, lässt sich an den ersten Kommentaren der Helferstaaten ablesen: Unternehmenssteuern rauf und Revision der gesamten irischen Wirtschaftspolitik. Man ahnt, dass das Zögern in Dublin keine Folge bockiger aber erlahmter Keltenkrieger ist, sondern der Offenbarungseid eines unrentabel gewordenen Standorts am Rande der EU. ___________________________________________________________________
<<05.11.2010>> <<abeu>> >>blog>>
Dollars zum Abwinken
Der nette Onkel mit dem silbergrauen Bärtchen und dem einnehmenden Lächeln lässt mal wieder die Muskeln spielen und zeigt der Staatenwelt, wie die US-Mächtigen gedenken, die krisenbedingten Ausfälle von Teilen der eigenen Wirtschaft zu überwinden. US-Notenbankchef Ben Bernanke flutet den heimischen Markt mit 600 Milliarden US-Dollar, titelt die Financial Times Deutschland. Das missfällt Unternehmern und Politikern außerhalb der USA. Das Mehr an Liquidität in den USA geht auf Kosten anderer Volkswirtschaften, deren Geschäfte auf Dollarbasis einen empfindlichen Dämpfer erhalten.
Interessant ist der Weg, den die Geldflut nimmt: Die Staatsbank kauft den Banken in großem Stil ihre eigenen Staatsanleihen ab, sprich wandelt fällige aber auch nicht fällige Schuldverschreibungen in handfeste Greenbags um. Ein Deal, der Schuldtitel durch frisch gedruckte Banknoten ersetzt. Ein Schachzug, der von US-Ökonomen je nach Schule unterschiedlich bewertet wird, aber keine sonderlich große Aufregung auslöst. Die liquiden Mittel aus der Staatsdruckerei erhöhen nicht direkt die Schuldenlast des US-Staates, setzen aber eine enorme Menge an Kreditgeld frei.
Diese wohlkalkulierte Aktion vermehrt die US-Geldmenge in der Hoffnung, dass mit den vielen Dollarscheinen mehr Geschäfte in Gang kommen, das Kreditangebot wächst und damit die Zahlungsfähigkeit auch kleinerer Unternehmen zumindest zeitweise wieder hergestellt wird. Mehr Geld in den Taschen geschäftstüchtiger, aber finanziell klammer Unternehmer wirkt in den Augen vieler Nationalökonomen auch förderlich auf das Preisniveau der Waren. Billiges Geld erhöht schließlich die Kaufkraft, damit wächst die Bereitschaft mehr für die begehrten Produkte auszugeben – so die volkswirtschaftliche Theorie. Zwar ist jedem klar, dass hier nicht einfach Zahlungsmittel unter die Leute gebracht werden, auf dass die endlich ihre Häuser abzahlen, Waschmaschinen kaufen und sich neue Autos zulegen können, gedacht ist vielmehr daran, das Schuldenmachen zu errleichtern, nach dem Motto, hier hast du Geld zu günstigen Bedingungen, mach was draus. Das öffnet somit neue Möglichkeiten für Spekulationsgeschäfte aller Art, erhöht aber auch die private Verschuldung.
Selbst der FED-Chef ist unsicher über die Wirkung seiner Geldaktion. Das mit den ungewohnt hohen Arbeitslosenzahlen und der weiterhin lahmenden Wirtschaftskraft ist natürlich ärgerlich. Die Nation laboriert zu lange an den Krisenfolgen herum, statt sich den wirklich wichtigen Aufgaben, Irak-Bereinigung, Iran-Offensive, Chinakonkurrenz, Wahlausgang und Expansion auf allen Feldern zuzuwenden. Offenbar schränkt die schlechte wirtschaftliche Verfassung den politischen Handlungsspielraum der Großmacht ein. Doch von Sparen oder Haushaltsanieren halten US-Ökonomen wenig. Sie drucken einfach neue Greenbags und vertrauen auf eine rasche Kapitalisierung der grünen Zettel. Ob das tatsächlich insolvente Immobilienbesitzer vor dem endgültigen Untergang rettet oder Arbeitslose wieder in Brot setzt, das ist höchst ungewiss.
Das macht aber nichts. Denn das FED hat ja nur ein Instrument zur Aktivierrung von Wirtschaftsaktivitäten in Anschlag gebracht und setzt darauf, dass die Akteure am Markt das Angebot nutzen. Das aber gehört zum ureigenen Wertekanon jedes amerikanischen Bürgers. Bleibt nur die unangenehmene Außenwirkung der neuen Dollars. China, Brasilien, Deutschland sind wenig amused. Doch gerade um diese Konkurrenzmächte auf Distanz zu halten, dazu soll der 600-Milliarden-Deal ja entscheidend beitragen.
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<<11.10.2010>> <<by: Andreas Beuthner>>
Einsturzgefahr
Treffen Infrastrukturplaner und heimatverliebte Mitbürger aufeinander, gibt es meist Ärger. Wer neue Autobahntrassen entlang von Wohngebieten legt oder Naherholungsgebiete mit Start- und Landebahnen eines Großflughafens unbrauchbar macht, muss mit Protest rechnen. Großbauprojekte pflügen Landschaften oder Stadtteile radikal um, nichts anderes gilt auch für den Durchgangsbahnhof in Stuttgart. Bauherr und Regierung wissen das, vor allem wenn sie ein paar Milliarden in die Hand nehmen. Geld spielt deshalb eine zentrale Rolle, wenn Projekte angestoßen, Chancen und Risiken austariert werden.
Das Konfliktpotential sich widerstreitender Interessen lässt sich mit Geld allein allerdings nicht ausbügeln. Zwar verdienen Gutachter, Planungsbüros und Ingenieurgesellschaften bereits kräftig an Stuttgart 21, diverse Grundstücksgeschäfte zwischen Bahn und Stadt sind getätigt und die Immobilienspekulation findet Nahrung. Doch niemand gibt eimerweise Geld aus, nur um einzelne Geschäftsinteressen zu bedienen. Man will ja was erreichen, beispielsweise einen Standortvorteil für zukünftige Geschäfte oder eben einen passenden Bahnhof an einer europäischen Schienenmagistrale zwischen Paris und Budapest.
Es geht um das Große und Ganze, um Zukunft, um einen Flecken Erde, der attraktiv genug ist, um Investoren, betuchte Mieter und sonstige ökonomische Potenzen anzieht. Ministerpräsident Stefan Mappus und Bahnchef Grube wollen einen konkurrenzfähigen Standort im Herzen der Innenstadt und halten deshalb an dem Modernisierungsprojekt fest. Die Gegenseite rechnet vor, dass es auch billiger geht. Ein modernisierter Kopfbahnhof ist ausreichend und kostet ein paar Milliarden weniger. Doch die Verantwortlichen lehnen kategorisch ab und lassen die misstrauischen Demonstranten per Wasserwerfer spüren, dass ein rechtskräftiger Beschluss vorliegt. Es wird rechtmäßig weiter gebaut im Namen des Fortschritts, auch gegen den Willen eines uneinsichtigen Aktionsbündnisses.
Der Polizeieinsatz zählt nicht zu den vertrauensbildenden Maßnahmen, aber dafür holt man einen Schlichter. Der soll erst mal die Lage beruhigen. Den enttäuschten Bürgern wird vorgeführt, was an Zukunftspotential im Jahrhundertprojekt steckt, in der Hoffnung, dass darüber der Baustellenboykott erlahmt. Hilft die Zermürbungstaktik nicht weiter ist das auch nicht weiter schlimm. Denn jeden Preis wollen auch Minister und Bahnmanager nicht bezahlen.
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<<05.10.2010>> <<by: Andreas Beuthner>>
Lohnklau
Das ist doch mal eine Meldung mit Pepp: "Eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage des Instituts tns emnid für das Hamburger Gruppendynamik-Institut Systhema und das General Interest-Portal www.webmail.de hat ergeben, dass fünf Prozent der deutschen abhängig Beschäftigten, also 1,7 Mio. Deutsche, schon jetzt planen, in der „dunklen Jahreszeit wegen möglicher psychischer Problemen oder Konflikten am Arbeitsplatz“ sich krankschreiben zu lassen. Und das, obwohl sie derzeit gesund sind. Basis hierfür ist eine repräsentative Studie, wofür 1000 Personen befragt wurden."
Die Frage sei erlaubt, ob 1000 Arbeitnehmer die Vorsätze von 1,7 Millionen Deutschen korrekt wiedergeben und warum die kreative Anwendung von statistischen Methoden zu betriebs- wie volkswirtschaftlich bedenklichen Ergebnissen führt. Fünf Prozent der nationalen Krankmeldungen wahrscheinlich getürkt - das mobilisiert Ordnungsempfinden und ruft die Unternehmensaufsicht auf den Plan.
Auch dies lässt sich dem Zahlenspiel der emnid-Experten entnehmen: Aller Wahrscheinlichkeit nach stimmt das Statistikbild über den Gesundheitszustand der Bevölkerung nicht mehr. Ärzte behandeln fiktive Krankheiten mutmaßlicher Simulanten. Die Vermutung liegt sogar nahe, dass hier nur die Spitze eines Eisberges auftaucht, dahinter verbergen sich noch ganz andere Täuschungsmanöver. Beispielsweise leistungsgewandelte Mitarbeiter, die Depressionen vorschieben und ihren Urlaub verlängern. Oder Abzocker, die Lohnanteile einsacken, ohne was dafür zu tun.
Die Botschaft der emnid-Statistiker ist weder unklar noch fragwürdig: Das kerngesunde Arbeitsvolk neigt zum Unterschleif. Deshalb sind repräsentative Umfragenso wichtig, sie decken schonungslos trickreiche Personalpraktiken auf und machen sichtbar, wer wirklich leidet: Die Unternehmensführung unter dem Geschummel ihrer Mitarbeiter. Oder ist es doch andersherum?
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>>29.09.2010>> <<by Andreas Beuthner>>
Ausgemustert
Mitten im Überfluß lebt eine Klientel, die sich aus eigener Kraft nicht am Leben erhalten kann. Sie braucht staatliche Hilfe, um in einer Gesellschaft überleben zu können, die wahrlich keine Probleme hat, alles zu produzieren, was nachgefragt wird. Eine Mangelwirtschaft ist das hier nicht, was schon ein kurzer Streifzug durch Kauf- und Möbelhäuser oder der Blick auf das Bruttoinlandsprodukt offenbart. 6,7 Millionen sollen es sein, deren Einkommen nicht reicht, sich überhaupt über Wasser zu halten.
Die Frage, warum es die Heerschar der Hartz-IV-Empfänger überhaupt gibt, was sie falsch machen, warum sie zu eigentumslosen Habenichtsen geworden sind, ist schnell beantwortet: Sie haben keinen Job und stehen deshalb ohne Einkommen da. Mehr ist den öffentlichen Debatten und selbst den Kommentaren von Betroffenen angesichts der gerade laufenden Hartz-IV-Reform bei dieser Frage nicht zu entnehmen. Nur wer arbeiten geht und seine Haut zu Markte trägt, gehört zum Kreis der Einkommensbezieher, wie hoch auch immer das Endgeld ausfallen mag, das der Arbeitgeber bereit ist zu bezahlen.
Die Sozialpolitik hat diesen Sachverhalt schon immer gern aufgegriffen: Wer arbeiten will, bekommt auch Arbeit ist ein Bonmot, das seit dreißig Jahren die Runde macht und durch nichts zu erschüttern ist. Die Hartz-IV-Beschlüsse verstehen sich ja als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ohne die „Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht eingetreten wären“, so der Ex-Arbeitsminister und Hartz-IV-Befürworter Wolfgang Clement. Das Ergebnis dieser Politik ist bekannt und mündet in einen staatlich geförderten Niedriglohnsektor mit Rundumbetreuung durch Jobcenter und Arbeitsagenturen, neuen Sanktionsregeln, Probejobs und Geldkürzungen für renitente Arbeitslose.
Der 5-Euro-Obulus aus dem Hause von der Leyen ist so gesehen keine hartherzige Sparmaßnahme angesichts einer klammen Haushaltslage, sondern die konsequente Fortführung des sozialdemokratischen Erfolgsmodells, Leute durch Zwang zur Arbeitsaufnahme zu bewegen - selbt wenn sich gar niemand findet, der sie gebrauchen könnte. Doch die Anreize sind gesetzt und der Ministerin schlägt deshalb durchaus Beifall entgegen. Das Bildungspaket ist im Ansatz richtig und auch der Einkommensabstand zwischen den Hartz-IV-Familien und den Geringverdiener-Haushalten ist gewahrt. Die „Zeit“ mäkelt ein bisschen daran herum, dass zu wenig differenziert wird, zwischen den erwerbsfähigen Arbeitslosen und den fast zwei Millionen Minderjährigen, die wohl kaum zur Kinderarbeit verdonnert werden können. Außerdem finden sich unter dem Hartz-IV-Klientel jede Menge alleinerziehende Mütter oder Väter, verarmte Rentner, Vorruheständler und gesundheitlich angeschlagene Menschen, die man ja auch mitziehen muss.Die vernehmbare Empörung über eine zu knausrige Anpassung der Sätze kommt von den Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und der Linken. Deren Vorsitzender Klaus Ernst fordert verfassungskonforme Regelsätze und will das soziokulturelle Existenminimum neu ermitteln lassen: „Mit einem Regelsatz von 370 Euro wird der gegenwärtige Zustand fortgeschrieben: Hartz ist Armut per Gesetz für die Betroffenen.“ Das Fortschreiben allerdings ist durchaus Intention des Reformwerks, schließlich ist die alte Agenda-Formel vom Fordern und Fördern ohne Abstriche in Kraft. Und Armut per Gesetz ist natürlich ein matter Vorwurf, denn ohne Regelsatz würde sich die Notlage von ein paar Millionen Mitbürgern bedrohlich potenzieren. Umgekehrt passt der Schuh auch nicht: Mit öffentlichen Alimenten ändert sich nichts an der Notlage der Betroffenen und den Ursachen, die sie hervorrufen. Sie haben zwar mehr zu beißen und ein Dach über dem Kopf, aber den Sprung in den Kreis wirtschaftlich brauchbarer Einkommensbezieher haben sie damit nicht geschafft.
Fazit: Der Deal am Arbeitsmarkt ist alles andere als harmlos. Doch niemand will sich an den Ausgemusterten die Finger schmutzig machen. Die Politik hat ihren Weg gefunden und behandelt die verarmte Heerschar als Betreuungsfall von Jobcentern, karitativen Einrichtungen und ehrenamtlichen Suppenküchen. Die Unternehmen können jederzeit auf einen staatlich organisierten Arbeitskräftepool zugreifen und ihren Bedarf an billigen Arbeitskräften zwanglos decken.
Und was ist mit den Betroffenen? Die können sich abstrampeln wie sie wollen, sie holen sich immer eine blutige Nase. Denn wem es nicht gelingt, das Interesse des Personalleiters auf sich zu lenken, kassiert Absagen. Der individuelle Arbeits- und Leistungswille reicht da übrigens keineswegs. Auch die Kunst der Selbstvermarktung gehört ganz selbstverständlich dazu, inklusive das Hinfrisieren von Lebenslauf, Aussehen und Auftreten in spannungsgeladener Umgebung. Doch selbst schauspielerische Höchstleistungen sind nur nette Begleitübungen, denn der Personalleiter prüft den Bewerber aus der Hängemattenfraktion nach seinen eigenen, einzig gültigen Kriterien: Billig und willig.
>>31.08.2010<< <<by: Andreas Beuthner>>
Die Welt des Thilo Sarrazin
Die öffentliche Empörung schlägt hoch, doch der ehemalige Berliner Finanzsenator und jetzige Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank bleibt cool. Kein Wunder, denn diese Aufmerksamkeit lässt jedes Verlegerherz höher schlagen und verschafft einem Buchautor jene Publicity, die er als erfolgsgewohnter Topmanager und Ex-Politiker erwartet. Sarrazin gehört zur Elite dieses Landes und bilanziert von dieser Warte aus. Ein kluger Kopf, der sich nur etwas verrannt hat, wie manche Kommentatoren bereits respektierlich anmerken.
Aufregung hin, Empörung her - tatsächlich breitet der Banker nur seine Sorge um etwas aus, das jedem vertraut, ja auch ein Herzensanliegen ist: Deutschland ist in schlechter Verfassung und verliert ständig an Gewicht nach innen wie außen. Den Schwächeanfall kann jeder täglich beim Fernsehen oder bei der Zeitungslektür besichtigen, er reicht von Identitätsverlust bis zur handlungsunfähigen Regierung, vom demographischen Wandel über Immigrantenschwemme und Nachwuchsmangel, verzweifelte Excellenz-Initiativen, kaum wahrgenommene Leuchtturm-Projekte, verrohte Jugend bis zur entwurzelten Hartz-IV-Klientel.
Das lässt einen Elite-Mann modernen Zuschnitts nicht kalt. Denn auf Schwäche haben Manager schon immer eine Antwort: Kräfte bündeln, Handbremse lösen und Gas geben. Da es sich aber nicht um den Personalbestand eines Unternehmens handelt, sondern um die staatlich organisierte Gemeinschaft, fällt das Fitnessprogramm etwas anders aus. Auf dem Prüfstand steht nämlich die gesamte Bevölkerung. Und siehe da, diese Mannschaft zerfällt schon bei oberflächlicher Betrachtung in unterschiedliche Teile mit gegensätzlichen Interessen, Neigungen und Bedürfnissen. Wie aber lässt sich in dieser konfliktträchtigen Melange eine homogene Kraft für das Rettungsprogramm Deutschland entdecken? Wer als Macher schon immer Personalverantwortung getragen hat, weiß auch jetzt Bescheid: Leistungswille und Motivation müssen stimmen.
An dieser Stelle begibt sich Sarrazin auf die Suche nach geeigneten Mitstreitern und setzt ein Auswahlverfahren am vorhandenen Menschenmaterial in Gang, das ein rechtsnationales Rekrutierungsbüro zur Bestandserhaltung germanischer Widerstandskraft nicht besser machen könnte. Kurz gefasst: Eine überzeugende Leistung für Deutschland bringt doch nur ein waschechter Deutscher zustande. Genau dieser aber ist in der Welt des Thilo Sarrazin ein knappes Gut, denn der aufrechte Deutsche hat sich von ausländischen Elementen vertreiben lassen. Ein Seitenhieb trifft auch die Politk, die mit Hartz IV ein Prekariat geschaffen hat, dem der nationale Leistungswille abhanden gekommen ist. Denn wer Stützte für seine schiere Existenzerhaltung bekommt, leistet keinen Beitrag für die Erhaltung des Ganzen.
Nachdem der Banker in seinem Bürohochturm die Personalauswahl getroffen hat, fühlt er sich zur Rechtfertigung gedrängt. Tatsächlich untermauert der Staatsdiener aus Frankfurt seinen Deutschlandwahn mit rassistischen Versatzstücken aus dem vorigen Jahrhundert und krönt seine Auffassung mit der Behauptung, ein derart geschwächter Staat mit rassischer Fehlbesetzung kann nur eines: Sich selbst abschaffen.
Dass ein Elite-Banker in der noch aktuellen Finanzkrise das Szenario einer Selbstenthauptung weiterpflegt, spricht nicht gerade für den klaren Blick auf die wirklichen Verhältnisse. Das sieht eher nach einem Sammelbecken für deutschgestimmte Karrieristen aus, die Schwarz-rot-goldene Fahnen hissen, ihre Kräfte bündeln, die Handbremse lösen und vielleicht demnächst zur Parteigründung schreiten. Das Programm liegt in groben Zügen ja schon in Buchform auf dem Tisch.
_______________________________________________________________________<<05.08.2010>> <<by: Andreas Beuthner>>
Gut gesagt, Herr Westerwelle
Laut Süddeutscher Zeitung distanzierte sich Außenminister Guido Westerwelle von Äußerungen des neuen Oberkommandierenden der ausländischen Truppen in Afghanistan, US-General David Petraeus. Diesammen". Dies wäre nicht seine Wortwahl gewesen, sagte Westerwelle. Schön und gut. Aber wie sagen Sie eer hatte in einem Truppenbefehl gefordert, die Soldaten sollten ihre "Zähne in das Fleisch des Feindes rs denn? Das gezielte Töten von Terroristen ist völlig legal. Klingt irgendwie diplomatischer und von Recht gekrönt, der Sache nach aber meinen Sie doch wohl dasselbe, wie der Armeegeneral. Die Praktiker im Krieg haben einfach keine Zeit, um ihr Treiben in harmlosere Wortgirlanden zu übersetzen. Da wird geschossen und zwar nach den Regeln einer taktisch und strategisch aufgebauten Kriegsführung.
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<<06.08.2010>> <<by: abeu>>