<<10.08.2011>>

Riots ohne Ende

Pure Kriminelle, getrieben von der blanken Lust an Zerstörung, so die offizielle Lesart, die der englische Premier David Cameron der Weltöffentlichkeit mitteilt. Dazu das Aufstocken der Polizeikräfte auf 16 000 Mann allein für London mit der Anweisung, die Ordnung in den Stadtvierteln wieder herzustellen. Das war´s denn auch. Die randalierenden Jugendlichen, die über die Stränge geschlagen haben, erhalten eine Lektion in Sachen öffentlicher Ordnung und Respekt vor Eigentum. Und während Strafverfolger unter dem Beifall der Öffentlichkeit Jagd auf Randalierer machen, planen die Sicherheitsbehörden schon die nächsten Maßnahmen: Mehr Kontrolle der Elendsviertel und der sozialen Netzwerke, vielleicht auch Aufstockung der Gefängniskapazitäten und Überprüfung der gesetzlichen Lage.

Die Aufräumarbeiten an der Basis treffen Jugendliche, die nichts zu Lachen haben. Sparprogramme verschärfen den täglichen Überlebenskampf, der immer aussichtsloser wird. Kaum mehr vorhandene Jobangebote bei ständig sinkendem Einkommensniveau. Auf einen Gutverdiener kommen hunderte mäßig bis schlecht bezahlte Mitarbeiter, die aber volle Leistung bringen müssen, um nicht ganz raus zu fallen. Dazu ein sich vergrößernder Bodensatz an Ausgemusterten, denen nicht nur die Lebensperspektive abhanden gekommen ist, sondern die noch gar nicht so richtig in Tuchfühlung mit einem geregelten Arbeitsleben gekommen sind – und wahrscheinlich auch nie kommen werden.

„Wir holen uns, was uns zusteht“, soll ein Kapuzenaktivist gesagt haben. Dann ging es los, um Elektronikläden zu stürmen oder das Schuhlager einer Verkaufskette zu plündern. Plötzlich standen auch Autos und Häuser in Flammen. Das alles erinnert an die Krawalle in den Pariser Bonlieus oder die Ausschreitungen in Athen. Aber auch an die Hooligans aus der Südkurve oder vandalisierende Gruppen auf Bahnsteigen und in Zügen. Mehr als ein Ventil um Wut abzulassen ist das nicht, aber ein Hinweis, dass sich viel angestaut hat an Unzufriedenheit über die ausweglose Lage weiter Kreise der Bevölkerung.

Einfach zu nehmen, was man braucht ist natürlich ein schwerwiegendes Missverständnis in einer Gesellschaft, die zwar Überschüsse an Waren kennt, den Zugang dazu aber über Geld regelt. Pech für denjenigen, der keines hat und schrankenlose Freiheit für andere, die genügend davon haben. Wer ein Handy mitgehen lässt ohne an der Kasse zu bezahlen ist ein Kleinkrimineller. Wer darüberhinaus noch die Scheibe einschlägt und die Ladeneinrichtung zertrümmert gibt sich als handfester Krimineller zu erkennen. Ihn trifft die Wucht der moralischen Empörung und die auf den Fuß folgende polizeiliche Verfolgung. Der Ausgangspunkt für den Kapuzenmann, die schönen Dinge an die er nicht rankommt, fällt unter den Tisch. Stattdessen vergeht er sich an fremdem Eigentum und den Interessen, die der rechtmäßige Eigentümer damit verbindet.

Die Sozialproteste und die sie auslösenden Zustände sind ordnungsmissachtende Eingetumsdelikte und damit undemokratische Umtriebe. Auf diese Sicht zieht sich alles zusammen, untermalt von den brennenden Häusern, gröhlenden Jugendlichen und hilflosen Polizisten. Die Regierungen ziehen durch, was sie für nötig halten und die Gesellschaft hofft, dass alles gut geht. Störungen aus der Unterschicht sorgen zwar für Aufregung, aber das sind ja ohnehin Abgekoppelte, siehe London Summer 2011.

<<22.11.2010>> <<abeu>> <<blog>>

Hängt sie höher

Das waren noch Zeiten, als jedes EU-Land im Keller die eigene Notenpresse hatte. Im Notfall konnte der Notenbankchef die nationale Geldmenge erhöhen und die Wirtschaft aus eigenen Ressourcen mit frischem Kreditgeld ausstatten. Dieser Weg ist den Iren verwehrt. Ihre Geschäftsfähigkeit hängt auf Gedeih und Verderb an den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank, denn aus eigener Kraft kann sich der irische Staat – und mit ihm der gesamte irische Finanzsektor samt Unternehmenslandschaft – nicht mehr refinanzieren. Seit Donnerstag prüfen Experten des IWF und der Europäischen Zentralbank die irische Haushaltslage, bevor sie Details für einen Rettungsfonds vorschlagen, konstatiert spiegel online lapidar.

Die Insolvenzverwalter von IWF, EU-Zentralbank und EU-Kommission sind schon ausgerückt. Es gibt viel Häme für die Zauderer aus Dublin, denn jetzt wird endlich aufgeräumt im windigen Keltenreich, das viele Investoren angelockt hat, die Versprechen auf gute Geschäfte aber nicht einhalten konnte. In Scharen flüchten Anleger von der grünen Insel, heisst es, und Banker kriegen irische Staatsanleihen nur mit einem großen Risikoaufschlag an den Mann. Die Regierung hat die Reißleine gezogen und einen Multimilliardenkredit beantragt, rast aber trotzdem gegen die Wand, Kursrutsch bei den Banken, ein nahezu zahlungsunfähiges Finanzministerium - das Land gibt seine wirtschaftliche Souveränität wegen Bankrott auf.

Diesmal sind es nicht frivole Südländer mit vermeintlich mentalittätsbedingtem Hang zum Nichtstun, sondern sturmerprobte Nordlichter, die den ökonomischen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Das irische Problem ist bei genauem Hinschauen der Absturz in die Regionalliga nicht konkurrrenzfähiger Staaten, die nur per EU-Intervention überhaupt noch weiterspielen können. Die Hilfe, gegen die sich Dublin bis zuletzt gewehrt hat, bedeutet Rückgabe der Lizenz als EU-Player und Ende einer dereinst hoffnungsvoll angetretenen Karriere als Kapital- und Produktionsstandort für internationale Unternehmen. Im Land übernehmen die EU-Emissäre das Steuer und verpassen den Iren einen Maßnahmekatalog, der nichts Gutes für das Land, aber Erleichterung für die Gläubiger bringen soll.

Die sitzen zum überwiegenden Teil in Frankfurt, London. Paris oder Luxemburg. Längst häufen sich in den führenden Großbanken des Euro-Raums, namentlich der Führungsmacht Deutschland, die irischen Verbindlichkeiten in einer kaum mehr fassbaren Größenordnung. Das Schuldenvolumen ist so groß, dass sich das irische Problem nicht mehr durch eine normale Abschreibung und Streckung von Restschulden entschärfen lässt. Sprich, die führenden EU-Staaten verdonnern Dublin zu einem rücksichtslosen Schuldendienst, von dem sich Land und Leute nicht so schnell erholen werden. Wie tief im Fall Irland in das innere Geschehen eingegriffen wird, lässt sich an den ersten Kommentaren der Helferstaaten ablesen: Unternehmenssteuern rauf und Revision der gesamten irischen Wirtschaftspolitik. Man ahnt, dass das Zögern in Dublin keine Folge bockiger aber erlahmter Keltenkrieger ist, sondern der Offenbarungseid eines unrentabel gewordenen Standorts am Rande der EU. ___________________________________________________________________

<<05.11.2010>> <<abeu>> >>blog>>

Dollars zum Abwinken


Der nette Onkel mit dem silbergrauen Bärtchen und dem einnehmenden Lächeln lässt mal wieder die Muskeln spielen und zeigt der Staatenwelt, wie die US-Mächtigen gedenken, die krisenbedingten Ausfälle von Teilen der eigenen Wirtschaft zu überwinden. US-Notenbankchef Ben Bernanke flutet den heimischen Markt mit 600 Milliarden US-Dollar, titelt die Financial Times Deutschland. Das missfällt Unternehmern und Politikern außerhalb der USA. Das Mehr an Liquidität in den USA geht auf Kosten anderer Volkswirtschaften, deren Geschäfte auf Dollarbasis einen empfindlichen Dämpfer erhalten.

Interessant ist der Weg, den die Geldflut nimmt: Die Staatsbank kauft den Banken in großem Stil ihre eigenen Staatsanleihen ab, sprich wandelt fällige aber auch nicht fällige Schuldverschreibungen in handfeste Greenbags um. Ein Deal, der Schuldtitel durch frisch gedruckte Banknoten ersetzt. Ein Schachzug, der von US-Ökonomen je nach Schule unterschiedlich bewertet wird, aber keine sonderlich große Aufregung auslöst. Die liquiden Mittel aus der Staatsdruckerei erhöhen nicht direkt die Schuldenlast des US-Staates, setzen aber eine enorme Menge an Kreditgeld frei.

Diese wohlkalkulierte Aktion vermehrt die US-Geldmenge in der Hoffnung, dass mit den vielen Dollarscheinen mehr Geschäfte in Gang kommen, das Kreditangebot wächst und damit die Zahlungsfähigkeit auch kleinerer Unternehmen zumindest zeitweise wieder hergestellt wird. Mehr Geld in den Taschen geschäftstüchtiger, aber finanziell klammer Unternehmer wirkt in den Augen vieler Nationalökonomen auch förderlich auf das Preisniveau der Waren. Billiges Geld erhöht schließlich die Kaufkraft, damit wächst die Bereitschaft mehr für die begehrten Produkte auszugeben – so die volkswirtschaftliche Theorie. Zwar ist jedem klar, dass hier nicht einfach Zahlungsmittel unter die Leute gebracht werden, auf dass die endlich ihre Häuser abzahlen, Waschmaschinen kaufen und sich neue Autos zulegen können, gedacht ist vielmehr daran, das Schuldenmachen zu errleichtern, nach dem Motto, hier hast du Geld zu günstigen Bedingungen, mach was draus. Das öffnet somit neue Möglichkeiten für Spekulationsgeschäfte aller Art, erhöht aber auch die private Verschuldung.

Selbst der FED-Chef ist unsicher über die Wirkung seiner Geldaktion. Das mit den ungewohnt hohen Arbeitslosenzahlen und der weiterhin lahmenden Wirtschaftskraft ist natürlich ärgerlich. Die Nation laboriert zu lange an den Krisenfolgen herum, statt sich den wirklich wichtigen Aufgaben, Irak-Bereinigung, Iran-Offensive, Chinakonkurrenz, Wahlausgang und Expansion auf allen Feldern zuzuwenden. Offenbar schränkt die schlechte wirtschaftliche Verfassung den politischen Handlungsspielraum der Großmacht ein. Doch von Sparen oder Haushaltsanieren halten US-Ökonomen wenig. Sie drucken einfach neue Greenbags und vertrauen auf eine rasche Kapitalisierung der grünen Zettel. Ob das tatsächlich insolvente Immobilienbesitzer vor dem endgültigen Untergang rettet oder Arbeitslose wieder in Brot setzt, das ist höchst ungewiss.

Das macht aber nichts. Denn das FED hat ja nur ein Instrument zur Aktivierrung von Wirtschaftsaktivitäten in Anschlag gebracht und setzt darauf, dass die Akteure am Markt das Angebot nutzen. Das aber gehört zum ureigenen Wertekanon jedes amerikanischen Bürgers. Bleibt nur die unangenehmene Außenwirkung der neuen Dollars. China, Brasilien, Deutschland sind wenig amused. Doch gerade um diese Konkurrenzmächte auf Distanz zu halten, dazu soll der 600-Milliarden-Deal ja entscheidend beitragen.

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<<11.10.2010>> <<by: Andreas Beuthner>>
Einsturzgefahr


Treffen Infrastrukturplaner und heimatverliebte Mitbürger aufeinander, gibt es meist Ärger. Wer neue Autobahntrassen entlang von Wohngebieten legt oder Naherholungsgebiete mit Start- und Landebahnen eines Großflughafens unbrauchbar macht, muss mit Protest rechnen. Großbauprojekte pflügen Landschaften oder Stadtteile radikal um, nichts anderes gilt auch für den Durchgangsbahnhof in Stuttgart. Bauherr und Regierung wissen das, vor allem wenn sie ein paar Milliarden in die Hand nehmen. Geld spielt deshalb eine zentrale Rolle, wenn Projekte angestoßen, Chancen und Risiken austariert werden.

Das Konfliktpotential sich widerstreitender Interessen lässt sich mit Geld allein allerdings nicht ausbügeln. Zwar verdienen Gutachter, Planungsbüros und Ingenieurgesellschaften bereits kräftig an Stuttgart 21, diverse Grundstücksgeschäfte zwischen Bahn und Stadt sind getätigt und die Immobilienspekulation findet Nahrung. Doch niemand gibt eimerweise Geld aus, nur um einzelne Geschäftsinteressen zu bedienen. Man will ja was erreichen, beispielsweise einen Standortvorteil für zukünftige Geschäfte oder eben einen passenden Bahnhof an einer europäischen Schienenmagistrale zwischen Paris und Budapest.

Es geht um das Große und Ganze, um Zukunft, um einen Flecken Erde, der attraktiv genug ist, um Investoren, betuchte Mieter und sonstige ökonomische Potenzen anzieht. Ministerpräsident Stefan Mappus und Bahnchef Grube wollen einen konkurrenzfähigen Standort im Herzen der Innenstadt und halten deshalb an dem Modernisierungsprojekt fest. Die Gegenseite rechnet vor, dass es auch billiger geht. Ein modernisierter Kopfbahnhof ist ausreichend und kostet ein paar Milliarden weniger. Doch die Verantwortlichen lehnen kategorisch ab und lassen die misstrauischen Demonstranten per Wasserwerfer spüren, dass ein rechtskräftiger Beschluss vorliegt. Es wird rechtmäßig weiter gebaut im Namen des Fortschritts, auch gegen den Willen eines uneinsichtigen Aktionsbündnisses.

Der Polizeieinsatz zählt nicht zu den vertrauensbildenden Maßnahmen, aber dafür holt man einen Schlichter. Der soll erst mal die Lage beruhigen. Den enttäuschten Bürgern wird vorgeführt, was an Zukunftspotential im Jahrhundertprojekt steckt, in der Hoffnung, dass darüber der Baustellenboykott erlahmt. Hilft die Zermürbungstaktik nicht weiter ist das auch nicht weiter schlimm. Denn jeden Preis wollen auch Minister und Bahnmanager nicht bezahlen.


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<<05.10.2010>> <<by: Andreas Beuthner>>

Lohnklau

Das ist doch mal eine Meldung mit Pepp: "Eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage des Instituts tns emnid für das Hamburger Gruppendynamik-Institut Systhema und das General Interest-Portal www.webmail.de hat ergeben, dass fünf Prozent der deutschen abhängig Beschäftigten, also 1,7 Mio. Deutsche, schon jetzt planen, in der „dunklen Jahreszeit wegen möglicher psychischer Problemen oder Konflikten am Arbeitsplatz“ sich krankschreiben zu lassen. Und das, obwohl sie derzeit gesund sind. Basis hierfür ist eine repräsentative Studie, wofür 1000 Personen befragt wurden."

Die Frage sei erlaubt, ob 1000 Arbeitnehmer die Vorsätze von 1,7 Millionen Deutschen korrekt wiedergeben und warum die kreative Anwendung von statistischen Methoden zu betriebs- wie volkswirtschaftlich bedenklichen Ergebnissen führt. Fünf Prozent der nationalen Krankmeldungen wahrscheinlich getürkt - das mobilisiert Ordnungsempfinden und ruft die Unternehmensaufsicht auf den Plan.

Auch dies lässt sich dem Zahlenspiel der emnid-Experten entnehmen: Aller Wahrscheinlichkeit nach stimmt das Statistikbild über den Gesundheitszustand der Bevölkerung nicht mehr. Ärzte behandeln fiktive Krankheiten mutmaßlicher Simulanten. Die Vermutung liegt sogar nahe, dass hier nur die Spitze eines Eisberges auftaucht, dahinter verbergen sich noch ganz andere Täuschungsmanöver. Beispielsweise leistungsgewandelte Mitarbeiter, die Depressionen vorschieben und ihren Urlaub verlängern. Oder Abzocker, die Lohnanteile einsacken, ohne was dafür zu tun.

Die Botschaft der emnid-Statistiker ist weder unklar noch fragwürdig: Das kerngesunde Arbeitsvolk neigt zum Unterschleif. Deshalb sind repräsentative Umfragenso wichtig, sie decken schonungslos trickreiche Personalpraktiken auf und machen sichtbar, wer wirklich leidet: Die Unternehmensführung unter dem Geschummel ihrer Mitarbeiter. Oder ist es doch andersherum?


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>>29.09.2010>> <<by Andreas Beuthner>>

Ausgemustert

Mitten im Überfluß lebt eine Klientel, die sich aus eigener Kraft nicht am Leben erhalten kann. Sie braucht staatliche Hilfe, um in einer Gesellschaft überleben zu können, die wahrlich keine Probleme hat, alles zu produzieren, was nachgefragt wird. Eine Mangelwirtschaft ist das hier nicht, was schon ein kurzer Streifzug durch Kauf- und Möbelhäuser oder der Blick auf das Bruttoinlandsprodukt - so um die 2,5 Billionen Euro - offenbart. 6,7 Millionen Menschen sollen es sein, deren Einkommen nicht reicht, sich überhaupt über Wasser zu halten.

Die Frage, warum es die Heerschar der Hartz-IV-Empfänger überhaupt gibt, was sie falsch machen, warum sie zu eigentumslosen Habenichtsen geworden sind, ist schnell beantwortet: Sie haben keinen Job und stehen deshalb ohne Einkommen da. Mehr ist den öffentlichen Debatten und selbst den Kommentaren von Betroffenen angesichts der gerade laufenden Hartz-IV-Reform bei dieser Frage nicht zu entnehmen. Nur wer arbeiten geht und seine Haut zu Markte trägt, gehört zum Kreis der Einkommensbezieher, wie hoch auch immer das Endgeld ausfallen mag, das der Arbeitgeber bereit ist zu bezahlen.

Die Sozialpolitik hat diesen Sachverhalt schon immer gern aufgegriffen: Wer arbeiten will, bekommt auch Arbeit ist ein Bonmot, das seit dreißig Jahren die Runde macht und durch nichts zu erschüttern ist. Die Hartz-IV-Beschlüsse verstehen sich ja als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ohne die „Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht eingetreten wären“, so der Ex-Arbeitsminister und Hartz-IV-Befürworter Wolfgang Clement. Das Ergebnis dieser Politik ist bekannt und mündet in einen staatlich geförderten Niedriglohnsektor mit Rundumbetreuung durch Jobcenter und Arbeitsagenturen, neuen Sanktionsregeln, Probejobs und Geldkürzungen für renitente Arbeitslose.

Der 5-Euro-Obulus aus dem Hause von der Leyen ist so gesehen keine hartherzige Sparmaßnahme angesichts einer klammen Haushaltslage, sondern die konsequente Fortführung des sozialdemokratischen Erfolgsmodells, Leute durch Zwang zur Arbeitsaufnahme zu bewegen - selbt wenn sich gar niemand findet, der sie gebrauchen könnte. Doch die Anreize sind gesetzt und der Ministerin schlägt deshalb durchaus Beifall entgegen. Das Bildungspaket ist im Ansatz richtig und auch der Einkommensabstand zwischen den Hartz-IV-Familien und den Geringverdiener-Haushalten ist gewahrt. Die „Zeit“ mäkelt ein bisschen daran herum, dass zu wenig differenziert wird, zwischen den erwerbsfähigen Arbeitslosen und den fast zwei Millionen Minderjährigen, die wohl kaum zur Kinderarbeit verdonnert werden können. Außerdem finden sich unter dem Hartz-IV-Klientel jede Menge alleinerziehende Mütter oder Väter, verarmte Rentner, Vorruheständler und gesundheitlich angeschlagene Menschen, die man ja auch mitziehen muss.

Die vernehmbare Empörung über eine zu knausrige Anpassung der Sätze kommt von den Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und der Linken. Deren Vorsitzender Klaus Ernst fordert verfassungskonforme Regelsätze und will das soziokulturelle Existenminimum neu ermitteln lassen: „Mit einem Regelsatz von 370 Euro wird der gegenwärtige Zustand fortgeschrieben: Hartz ist Armut per Gesetz für die Betroffenen.“ Das Fortschreiben allerdings ist durchaus Intention des Reformwerks, schließlich ist die alte Agenda-Formel vom Fordern und Fördern ohne Abstriche in Kraft. Und Armut per Gesetz ist natürlich ein matter Vorwurf, denn ohne Regelsatz würde sich die Notlage von ein paar Millionen Mitbürgern bedrohlich potenzieren. Umgekehrt passt der Schuh auch nicht: Mit öffentlichen Alimenten ändert sich nichts an der Notlage der Betroffenen und den Ursachen, die sie hervorrufen. Sie haben zwar mehr zu beißen und ein Dach über dem Kopf, aber den Sprung in den Kreis wirtschaftlich brauchbarer Einkommensbezieher haben sie damit nicht geschafft.

Fazit: Der Deal am Arbeitsmarkt ist alles andere als harmlos. Doch niemand will sich an den Ausgemusterten die Finger schmutzig machen. Die Politik hat ihren Weg gefunden und behandelt die verarmte Heerschar als Betreuungsfall von Jobcentern, karitativen Einrichtungen und ehrenamtlichen Suppenküchen. Die Unternehmen können jederzeit auf einen staatlich organisierten Arbeitskräftepool zugreifen und ihren Bedarf an billigen Arbeitskräften zwanglos decken.

Und was ist mit den Betroffenen? Die können sich abstrampeln wie sie wollen, sie holen sich immer eine blutige Nase. Denn wem es nicht gelingt, das Interesse des Personalleiters auf sich zu lenken, kassiert Absagen. Der individuelle Arbeits- und Leistungswille reicht da übrigens keineswegs. Auch die Kunst der Selbstvermarktung gehört ganz selbstverständlich dazu, inklusive das Hinfrisieren von Lebenslauf, Aussehen und Auftreten in spannungsgeladener Umgebung. Doch selbst schauspielerische Höchstleistungen sind nur nette Begleitübungen, denn der Personalleiter prüft den Bewerber aus der Hängemattenfraktion nach seinen eigenen, einzig gültigen Kriterien: Billig und willig.

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>>31.08.2010<<   <<by: Andreas Beuthner>>

Die Welt des Thilo Sarrazin

Die öffentliche Empörung schlägt hoch, doch der ehemalige Berliner Finanzsenator und jetzige Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank bleibt cool. Kein Wunder, denn diese Aufmerksamkeit lässt jedes Verlegerherz höher schlagen und verschafft einem Buchautor jene Publicity, die er als erfolgsgewohnter Topmanager und Ex-Politiker erwartet. Sarrazin gehört zur Elite dieses Landes und bilanziert von dieser Warte aus. Ein kluger Kopf, der sich nur etwas verrannt hat, wie manche Kommentatoren bereits respektierlich anmerken.

Aufregung hin, Empörung her - tatsächlich breitet der Banker nur seine Sorge um etwas aus, das jedem vertraut, ja auch ein Herzensanliegen ist: Deutschland ist in schlechter Verfassung und verliert ständig an Gewicht nach innen wie außen. Den Schwächeanfall kann jeder täglich beim Fernsehen oder bei der Zeitungslektür besichtigen, er reicht von Identitätsverlust bis zur handlungsunfähigen Regierung, vom demographischen Wandel über Immigrantenschwemme und Nachwuchsmangel, verzweifelte Excellenz-Initiativen, kaum wahrgenommene Leuchtturm-Projekte, verrohte Jugend bis zur entwurzelten Hartz-IV-Klientel.

Das lässt einen Elite-Mann modernen Zuschnitts nicht kalt. Denn auf Schwäche haben Manager schon immer eine Antwort: Kräfte bündeln, Handbremse lösen und Gas geben. Da es sich aber nicht um den Personalbestand eines Unternehmens handelt, sondern um die staatlich organisierte Gemeinschaft, fällt das Fitnessprogramm etwas anders aus. Auf dem Prüfstand steht nämlich die gesamte Bevölkerung. Und siehe da, diese Mannschaft zerfällt schon bei oberflächlicher Betrachtung in unterschiedliche Teile mit gegensätzlichen Interessen, Neigungen und Bedürfnissen. Wie aber lässt sich in dieser konfliktträchtigen Melange eine homogene Kraft für das Rettungsprogramm Deutschland entdecken? Wer als Macher schon immer Personalverantwortung getragen hat, weiß auch jetzt Bescheid: Leistungswille und Motivation müssen stimmen.

An dieser Stelle begibt sich Sarrazin auf die Suche nach geeigneten Mitstreitern und setzt ein Auswahlverfahren am vorhandenen Menschenmaterial in Gang, das ein rechtsnationales Rekrutierungsbüro zur Bestandserhaltung germanischer Widerstandskraft nicht besser machen könnte. Kurz gefasst: Eine überzeugende Leistung für Deutschland bringt doch nur ein waschechter Deutscher zustande. Genau dieser aber ist in der Welt des Thilo Sarrazin ein knappes Gut, denn der aufrechte Deutsche hat sich von ausländischen Elementen vertreiben lassen. Ein Seitenhieb trifft auch die Politk, die mit Hartz IV ein Prekariat geschaffen hat, dem der nationale Leistungswille abhanden gekommen ist. Denn wer Stützte für seine schiere Existenzerhaltung bekommt, leistet keinen Beitrag für die Erhaltung des Ganzen.

Nachdem der Banker in seinem Bürohochturm die Personalauswahl getroffen hat, fühlt er sich zur Rechtfertigung gedrängt. Tatsächlich untermauert der Staatsdiener aus Frankfurt seinen Deutschlandwahn mit rassistischen Versatzstücken aus dem vorigen Jahrhundert und krönt seine Auffassung mit der Behauptung, ein derart geschwächter Staat mit rassischer Fehlbesetzung kann nur eines: Sich selbst abschaffen.

Dass ein Elite-Banker in der noch aktuellen Finanzkrise das Szenario einer Selbstenthauptung weiterpflegt, spricht nicht gerade für den klaren Blick auf die wirklichen Verhältnisse. Das sieht eher nach einem Sammelbecken für deutschgestimmte Karrieristen aus, die Schwarz-rot-goldene Fahnen hissen, ihre Kräfte bündeln, die Handbremse lösen und vielleicht demnächst zur Parteigründung schreiten. Das Programm liegt in groben Zügen ja schon in Buchform auf dem Tisch.

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<<05.08.2010>> <<by: Andreas Beuthner>>

Gut gesagt, Herr Westerwelle

Laut Süddeutscher Zeitung distanzierte sich Außenminister Guido Westerwelle von Äußerungen des neuen Oberkommandierenden der ausländischen Truppen in Afghanistan, US-General David Petraeus. Diesammen". Dies wäre nicht seine Wortwahl gewesen, sagte Westerwelle. Schön und gut. Aber wie sagen Sie eer hatte in einem Truppenbefehl gefordert, die Soldaten sollten ihre "Zähne in das Fleisch des Feindes rs denn? Das gezielte Töten von Terroristen ist völlig legal. Klingt irgendwie diplomatischer und von Recht gekrönt, der Sache nach aber meinen Sie doch wohl dasselbe, wie der Armeegeneral. Die Praktiker im Krieg haben einfach keine Zeit, um ihr Treiben in harmlosere Wortgirlanden zu übersetzen. Da wird geschossen und zwar nach den Regeln einer taktisch und strategisch aufgebauten Kriegsführung.

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<<06.08.2010>>   <<by: abeu>>

"Elvis Presley on Wednesday became a write-in candidate for governor of Arkansas, increasing the field for the state’s chief executive job to six."

Nein, nicht das fünfte Rad am Wagen und auch kein Ersatzrad, sondern ein vollwertiges Mitglied im Ringen um den Governeursposten. Das meldet die Arkansas Democrat-Gazette. Die Süddeutsche Zeitung ergänzt: Er wolle für "ein breiteres Angebot an Arbeitsmöglichkeiten und eine moderne Staatsverwaltung" sorgen (...) lebt in Star City (...) hat aber keinen Promistatus außer dem Namen. Das ist schon was in  den Vereinigten Staaten und reicht, um darauf eine Wahlkampagne aufzubauen. Die ruht auf zwei Säulen: Mehr Jobs und eine moderne Verwaltung. Das hat Elvis handschriftlich im Gouverneurssekretariat hinterlassen. Ist das nicht gradlinig rausgesagt und sehr amerikanisch?  Elvis als Ministerpräsident - im Land der tausend Möglichkeiten kein schlechter Ansatz, der Wähler mobiliseren könnte. 44 Jahre nach Heartbreak Hotel und dem Commercial breakout des Rock´n Pop by Elvis hält der Erfolg des Sängers und Autodidakten bis in heutige Zeit an. Der Mann und seine Band löste ungeahnte Leidenschaften bei Teenies aus und arbeitete sich zum wichtigsten Kulturexport der USA im Bereich der Unterhaltungsmusik hoch. Die Mädchen und auch einige Jungs waren entzückt von der Kraft und dem sicheren Instinkt, der von diesem Unterhaltungskünstler ausgingen. Viel mehr braucht es eigentlich nicht, um Führungspositionen in verstaubten Amtsstuben einzunehmen. Auch dort muss mal einer ran, der so richtig den Rock´n Roll draufhat. Don´t believe in Elvis könnte man meinen, aber warum eigentlich?  Es ist eine Frage der richtigen Selbstinszenierung, dem passenden Verkörpern gemeinsamer Werte, Führungstugend, ja und einfach Glaubwürdigkeit. Und schon reinkarniert ein Hillbilli-Sänger, der längst unter der Erde liegt, zum wegweisenden Gouverneur, dem allerdings außer dem Namen nichts vom großen Entertainer anhaftet. Das könnte dann doch ein bißchen wenig sein. Das ist aber auch nicht weiter schlimm, denn der Mann aus Star City ist schon heute in aller Munde.