Werkstatt für die zukunftsweisende Fertigung

 

Wissenschaftler und Ingenieure neigen gemeinhin nicht zu überschwänglichen Äußerungen. In einem Punkt aber sind sich die Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA einig: Intelligente Automatisierungstechnik ist der Schlüssel für industriellen Fortschritt und nachhaltige Wettbewerbskraft. Warum das so ist, dafür finden sich in den 14 fachlich unterschiedlich ausgerichteten Abteilungen des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts IPA Belege in Hülle und Fülle.

 

Der Baulärm auf dem IPA-Gelände in Stuttgart-Vaihingen ist allgegenwärtig und macht deutlich, dass sich hier niemand auf den Lorbeeren einer 50-jährigen Institutsgeschichte ausruhen möchte. Mehr Lärm als Ruhe - das bedeutet größere Labors, erweiterte Versuchsfelder und mehr Raumkapazitäten in der Reinst- und Mikroproduktion. Am IPA-Standort bereitet man sich auf die Zukunft vor und auf eine wachsende Nachfrage der Industrie nach exzellenter Hightech-Expertise und anwendungsnaher Forschungskompetenz. Mehr noch als die räumliche Aufstockung machen die fachlichen Schwerpunkte das Fraunhofer IPA zur ersten Adresse für industrielle Unternehmen aus den unterschiedlichen Branchen. Aus dem einfachen Grund: Innovative Fertigungsunternehmen sind Benchmark-Fabriken, die nach Perfektion streben und zukunftsweisende Antworten auf ihre Fragen erwarten.

 

Die gibt es an der Nobelstraße 12. Entspannt und gut gelaunt streckt Engelbert Westkämper dem Besucher die Hand entgegen. Der Professor für Produktionstechnik und Fabrikbetrieb und Institutsleiter des IPA blickt zuversichtlich in die Zukunft, schließlich ist er überzeugt, dass eine wandlungsfähige Produktionstechnik zu den entscheidenden Triebfedern für mehr Wettbewerbskraft der Industrie gehört. Die Werkzeuge zum Aufbau schlanker und flexibler Fabriken und die Methoden zur Gestaltung wertschöpfender Prozesse sind am Fraunhofer-Institut IPA ausreichend und in bester Qualität vorhanden. Die eigentliche Herausforderung indes liegt darin, sie dahin zu bringen, wo sie gebraucht werden. „Wissen und Intelligenz in die Fertigungsabläufe hineinzutragen“, zählt für Professor Westkämper zu den wichtigen Geboten im Pflichtenheft jedes IPA-Mitstreiters, ohne zu vergessen, dass digitale Fabriksysteme kein Selbstzweck sind: „Wer Trends setzt muss auch rentabel wirtschaften.“

 

Fabrikmodell aus dem Rechner

 

Kerngedanke der digitalen Fabrik sind wandlungsfähige Fertigungsstrukturen. Schon heute entwerfen IPA-Wissenschaflter am Computer komplette Produktionsabläufe vom Bestelleingang über die Materialzufuhr bis zur Arbeitsplanung und der Montage des fertigen Produkts. Simulationswerkzeuge bilden jeden Arbeitsschritt lückenlos ab und liefern die virtuelle Blaupause für den realen Prozess in der Fabrikhalle. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die optimale Planung führt zu schnellen und störungsfreien Abläufen, besserer Qualität und niedrigeren Kosten.

 

In Zukunft wird sich dieser Trend zu wandlungsfähigen Produktionsstätten weiter verstärken. Abteilungsleiterin Carmen Constantinescu, die sich mit den Lebenszyklen komplexer Fabriken befasst, sieht in vernetzten und intelligent integrierten Produktionssystemen die Antwort auf den enorm wachsenden Wettbewerbsdruck, dem sich auch kleinere Unternehmen auf Dauer nicht entziehen können. Grid Engineering heißt eines der großen Zukunftsthemen, das von IPA-Teams mit Hochdruck vorangetrieben wird. Gemeint ist damit das nahtlose Ineinandergreifen von allen Daten- und Informationsquellen eines Unternehmens, um das Produktionsgeschehen von der Produktentwicklung bis zur Auslieferung mit Hilfe von Software und einer vernetzten Computerlandschaft marktgerecht und zielgenau zu steuern.

 

Beispiel digitaler Planungstisch. Jeder Fertigungsleiter weiß, wie schwierig es ist, kurzfristige Auftragsänderungen oder spezielle Kundenwünsche im laufenden Betrieb ohne unzumutbare Kostenbelastung umzusetzen. Hilfreich wäre eine einfach zu handhabende Planungsumgebung, die sich nicht nur von speziell ausgebildeten Softwareexperten bedienen lässt. Stattdessen kann jeder Mitarbeiter dem System sein Wissen zur Verfügung stellen und mit seinem Beitrag daran mitwirken, dass bei der Auftragsbearbeitung nichts schief läuft. Selbst kleinere Unternehmen, die über keine üppigen Zeitressourcen oder eigene Planungsabteilungen verfügen, um sich in die Funktionsfülle mächtiger Planungstools einzuarbeiten, wären plötzlich in der Lage, verschiedene Produktionsszenarien am Computer zu modellieren und auf ihre Machbarkeit hin zu analysieren - am Fraunhofer IPA werden solche Wunschträume wahr.

 

Beim Anblick von Robotern, die in Teamstärke Autokarossen bearbeiten, ahnt der Kinogänger, dass das reale Leben längst die Fiktion mancher Hollywood-Filme eingeholt hat. Die unermüdlichen Helfer aus Blech und Elektronik sind vollgepackt mit Messfühlern, hochpräzisen Antrieben und einer programmierbaren Steuerung. Ihr Einsatzspektrum hat sich gegenüber den Anfangsjahren enorm ausgedehnt. Abteilungsleiter Martin Hägele kennt kaum einen Industriebereich, in dem Roboter keine Aufgaben übernehmen könnten: „Sie stapeln Paletten oder sortieren Würstchen, bohren Löcher, putzen Fenster oder greifen sicher nach dem richtigen Bauteil.“ Selbst beim Zerspanen von Werkstücken, einer Domäne der klassischen Werkzeugmaschinen, verleihen IPA-Experten dem Roboter immer häufiger die Fähigkeit, genauso präzise und sicher zu agieren wie großvolumige Bearbeitungsanlagen aus dem herkömmlichen Maschinenbau.

 

Kooperieren mit Personal Roboter

 

Innovationen und Produktideen gehen an dieser IPA-Abteilung Hand in Hand mit praktischen Lösungen, wie beispielsweise preiswerte Kleinroboter, feinfühlige Greiferwerkzeuge oder besonders kräftige Armkonstruktionen mit einem neuartigen Seilzugverfahren. In Zukunft, so die Vision von Hägele, wandeln sich Roboter zu intelligenten Assistenten, die nicht nur Sprache verstehen, sondern auch erkennen, was sie tun sollen. Mensch und Maschine rücken enger zusammen und treten sogar - auch hierfür gibt es bereits vielversprechende Konzepte - in einen zielgerichteten Dialog miteinander. Statt einer zeitraubenden Programmierung bringt der Werker „seinem“ Roboter mit Hilfe von Gesten, Symbolen oder Sprache einfach bei, was er tun soll. Solche Personal Roboter sind nicht nur lernfähig und kooperieren mit dem Benutzer, sie können sogar die Befehlscodes auf Wunsch selbst generieren, mit denen sie Löcher bohren, Bauteile greifen oder Schweißnähte entgraten. „Der Werker soll den Roboter so intuitiv nutzen, wie einen Akku-Schrauber“, betont Hägele. Die dafür erforderliche Software entwickeln die IPA-Forscher gerade in den Roboterlabors. Vorrangiges Ziel sind kürzere Instruktionszeiten, denn das ist der Dreh- und Angelpunkt für den wirtschaftlichen Einsatz des Blechkollegen.

 

Das gilt auch für die Serviceroboter, die noch längst nicht ihr Entwicklungspotential ausgeschöpft haben. Die dritte Generation des Erfolgsmodells Care-O-bot navigiert schon sehr sicher in räumlichen Umgebungen, der kleinere Bruder, Tabl-O-bot, kann Geschirr vom Esstisch abräumen oder Getränke servieren. Was die IPA-Forscher jetzt interessiert sind noch präzisere Handbewegungen, damit der elektronische Butler auch klemmende Schubladen oder Türen öffnet ohne Schaden anzurichten. Für die Robotikentwicklung sind solche Fragen das Sprungbrett zu weiteren Lösungen, die neue Anwendungsfelder erschließen. So könnten mobile Robotertrupps im Offshore-Bereich die Wartungsarbeiten von Ölplattformen unterstützen, die Solarfelder großer Sonnenkraftwerke überwachen oder Rotorblätter von Windkraftanlagen verschweißen.

 

Scharfe Partikelsuche

 

Die Probe steckt in einem schrankgroßen Partikel-Scanner und zählt zu den Wegwerfutensilien im Badezimmer. Dennoch ist die Rasierklinge Gegenstand eingehender Untersuchungen in Europas bestem Referenzreinraum der Klasse eins, der seit zwanzig Jahren am Fraunhofer IPA in Betrieb ist. Der Klingenhersteller will wissen, welchen Einfluss mikrometerfeine Partikel auf die Lebensdauer und Qualität der Klingenschärfe im Laufe ihrer Benutzung ausüben. Eine mess- und prüftechnisch anspruchsvolle Aufgabe. Um eine befriedigende Antwort zu erhalten ist Präzisionsequipment erforderlich, das auch kleinste Rückstände auf der Klingenoberfläche erfasst.

 

Für Abteilungsleiter Udo Gommel ist die Jagd nach kleinsten Verunreinigungen, ihre genaue Analyse und wie sie ihre Umgebung beeinflussen eine wichtige Voraussetzung für moderne Fertigungstechniken. Denn längst findet Produktion nicht nur in staub- und schmutzbelasteten Werkshallen, sondern auch in klinisch sauberen, partikelarmen Umgebungen statt. Verpackungsmaschinen der Pharmaindustrie müssen reinraumtauglich sein ebenso wie Montageanlagen für Motorenkomponenten oder dünn beschichtete Solarzellen, deren Wirkungsgrad durch Materialkontaminationen erheblich abnimmt. Das Testequipment in den nach außen hermetisch abgeschirmten IPA-Laborkammern hat international einen erstklassigen Ruf und lockt Hersteller aus aller Welt an. In einer Ecke steht ein japanischer Montageroboter, der das Zertifikat „Fraunhofer Tested Device“ erhalten soll. Die Weltraumbehörde ESA lässt den Roboter und die Bohrgeräte für die nächste Marsmission in den Reinsträumen des IPA auf die geforderte Reinhaltungsstufe trimmen.

 

Der Bedarf nach Reinlichkeitsprüfungen wächst und die Prüflinge werden immer größer. Ein 2-Tonnen-Roboter passt gerade noch durch die Labortür, aber bei einem 24-Tonnen-Laminator aus der Kunststoffindustrie muss Gommel abwinken. „Uns ist schon mal der Boden eingebrochen“, erinnert sich der Reinraumexperte. In drei Monaten ist dieser Engpass überstanden. Statt 200 Quadrameter stehen dann 450 Quadratmeter Laborfläche bei einer Raumhöhe von sechs Metern zur Verfügung – wieder einmal setzt das IPA Bestmarken bei zukunftsträchtigen Forschungsdienstleistungen.

 

Zeichen des Fortschritts sind für den Lackexperten Dieter Ondratschek vor allem verlustarme und ressourcenschonende Beschichtungsanlagen, denn der Energieaufwand auch sehr moderner Spritzkabinen ist enorm: Das Einfärben von Freiformflächen mittels Spritzpistolen verschlingt, über das Jahr gerechnet, den Energiebedarf von mehreren Einfamilienhäusern. Das muss nicht sein. Es gibt technische Verfahren, deren Wirkungsgrad beinahe hundert Prozent erreichen. Das bedeutet nahezu keinen Overspray, somit sinken die Material- und Entsorgungskosten auf einen Bruchteil der heutigen Lacksprühanlagen. Vorbild dafür sind Drucker, die Tintentröpfchen kontrolliert und feinplaziert auf Papier spritzen. Doch was bei Inkjet-Verfahren in PC-Druckern klappt, stellt die Lackverarbeiter vor kaum überwindbare Hürden: „Das ist Zukunftsmusik, wir wollen aber in neue Gefilde vorstoßen, denn das könnte einen Quantensprung in der Lackiertechnik auslösen“, verrät Abteilungsleiter Ondratschek.

 

Energiearm und umweltfreundlich

 

Die Lackierspezialisten des Fraunhofer IPA sind Vorreiter für innovative Anlagen, die an den zwei häufig beklagten Schwachstellen bisheriger Lackierstraßen ansetzen: Kürzere, energieoptimierte Prozesse und emissionsarme, umweltverträgliche Systemlösungen. Auf beiden Feldern wird mit Hochdruck gearbeitet, mit dem Ziel, Kosten zu senken ohne Einbußen bei der Qualität hinnehmen zu müssen. In Zukunft sind es wohl kompaktere Anlagen, die das Rennen machen werden, mit einem hohen Automatisierungsgrad und umweltschonender Technik. Ondratschek erwartet zudem eine zunehmende Vielfalt an Systemen, die mit Pulver- oder Wasserlack, nanoskaligen Materialmischungen oder strahlungshärtenden Lackrezepturen das breite Anwendungsspektrum der Industrie abdecken. Ein erster Schritt in diese Richtung zeichnet sich durch Innovationsallianzen wie Green Carbody Technologies ab, bei der das Fraunhofer IPA sein Know-how einbringt. Sogar für Lacke aus nachwachsenden Rohstoffen sieht Ondratschek in Zukunft eine Chance auf mehr Akzeptanz und wachsende Marktanteile, denn: „Ökonomie und Ökologie wiedersprechen sich nicht“, unterstreicht der erfahrene IPA-Experte.

 

Einen Einblick in zukünftige Produktwelten, bei denen nanomodifizierte Materialien eine Schlüsselrolle übernehmen, zeigen Forschungsaktivitäten rund um röhrenförmige Kohlenstoffmoleküle. Für Abteilungsleiter Ivica Kolaric sind die mikroskopisch kleinen, aber extrem stabilen und leitfähigen Nanotubes außergewöhnliche Werkstoffe, die bereits Tennisschläger, Fahrradhelme oder Flachbildschirme mit verblüffenden Eigenschaften ausstatten. Mit noch besseren Verfahrenstechniken, so die Vision von IPA-Forscher Kolaric, lassen sich Nanotubes auch zur Speicherung von Wasserstoff für Brennstoffzellen einsetzen oder Lösungen im Bereich künstlicher Muskeln kostengünstig und in großen Stückzahlen produzieren: „Das Einsatzspektrum nanostrukturierter Schichten ist enorm, allerdings muss man den Herstellungsprozess sicher beherrschen.“

 

Ein großes Potential sehen die IPA-Beschichtungsexperten bei energiesparenden Heizwalzen, die mit nanostrukturiertem Kohlenstoff beschichtet sind. Die thermisch leitfähigen Schichten lassen sich sogar als flüssige Dispersion auf Fußböden oder in Türverkleidungen von Autos sprühen. Und auch das ist für Kolaric längst in den Fokus des Machbaren gerückt: Nanoskalige Materialien ersetzen die zentimeterdicken Keramikheizkörper von Herdplatten durch eine Mikrometer dünne Folie, die Bratpfanne und Kochwasser genauso schnell erhitzen, wie das herkömmliche Ceran-Kochfeld – allerdings wesentlich energieeffizienter und damit kostengünstiger. Einzige Voraussetzung: Der Anwender muss seine Produktionsverfahren anpassen und über eine Materialrezeptur verfügen, die seinen Qualitätskriterien entspricht. 

 

Um Produktionsrisiken von Nanomaterialien und Schichten auszuschließen, sind herkömmliche Verarbeitungs- und Maschinenstandards nicht ausreichend. Eine Menge zu tun gibt es beispielsweise bei den Carbon-Nanotube-Aktoren, die menschliche, nicht mehr funktionstüchtige Muskeln ersetzen könnten. Es gibt nur sehr wenige standardisierte Herstellungsverfahren um mehrwandige Carbon Nanotubes zuverlässig zu fertigen. Ein funktionsfähiger Aktor für medizinische Anwendungen, der elektrische Energie in mechanische Bewegungen umsetzt, unterliegt zudem sehr hohen Anforderungen, die bisherige Carbon Nanotube-Aktoren nicht erfüllen. Mit allen Kräften arbeitet Kolaric mit seinem Team deshalb nicht nur an einem zukunftsweisenden Prozessengineering, sondern auch an praxisgerechten Standards für Verfahren, Geräte und Anlagen.

 

Galvanik im Umbruch

 

Ein ganz anderer Bereich, das galvanotechnische Abscheiden von Werkstoffen auf Trägermaterialien, bewegt sich längst weg vom angestaubten Image einer risikoreichen und umweltbelastenden Altherren-Technik. Der Ersatz giftiger Stoffe durch verträgliche Legierungen ist in vielen Galvanikbetrieben Stand der Technik, die dafür erforderlichen Verfahren und die Prozessgestaltung stammen aus Forschungsarbeiten am Fraunhofer IPA. Mit welcher Ausdauer und Sorgfalt diese Entwicklung weitergetrieben wird, verrät Abteilungsleiter Martin Metzner: „Unser Ziel ist ein umfangreicher Baukasten an Werkstoffen für jede Beschichtung.“ Dazu zählen nicht nur Klassiker wie Chrom, Nickel, Kupfer oder Buntmetalle, sondern auch nanoskalige Partikel. Richtig spannend sind beispielsweise submikrometerkleine Polymerbälle in die Metzner mit seinen Experten Flüssigkeiten verkapselt und diese einer Materialmatrix hinzufügen. Beim Abscheiden auf die Oberflächen von Wälzlagern dienen solche Nanokapseln als zusätzliches Schmierstoffreservoir.

 

Die betagte Galvanik hindert Metzner keineswegs, mit seinen Mitstreitern immer neue Ideen und Verfahren auszuhecken. Große Chancen sieht der Chromspezialist beim Abscheiden von metallischen Selen oder der Legierungskomponente Molybdän, zwei Werkstoffe die sich bislang einer galvanischen Abscheidung widersetzen. Die Stoffe benötigen die Hersteller von Dünnschicht-Solarzellen. Immer wieder steht auch die Elektrolyse selber auf dem Prüfstand, denn ein Elektrolyt, der ohne wässrige Lösung metallhaltige Stoffe abscheidet, würde den Materialbaukasten für funktionale Beschichtungen erheblich erweitern.

 

Eiger-Nordwand oder Bordstein

 

Welche Bandbreite an Anwendungen moderne Technologien umfassen, macht ein Gespräch mit Abteilungsleiter Urs Schneider deutlich. Der ausgebildete Arzt interessiert sich brennend für leistungsstarke Antriebstechniken. Solche Mini-Motoren können behinderte Or- und Prothesenträger bei ihren Bewegungen unterstützen. Kraftvolle Antriebe wären eine gute Steuerungshilfe, um die biomechanischen Bewegungsabläufe von Knieorthesen oder künstlichen Gelenken zu verbessern. „Vor allem für das Vorwärtsgehen bieten die heutigen Motoren einfach zu wenig Leistungsdichte“, sagt Schneider. Gleichwohl entwickelt sich die Prothetik in rasanten Schritten in Richtung naturnaher Bewegungsabläufe. Integrierte Sensoren in mikroprozessorgesteuerten Prothesen sind keine Zukunftsmusik. Sensordaten und Biosignale bilden die informationstechnische Grundlage für das Navigieren in schwer begehbarem Terrain. Das muss nicht gleich das Besteigen der Eiger-Nordwand sein, „das größte Hindernis für Prothesenträger ist die Bordsteinkante“, weiß Schneider.

 

Am Fraunhofer IPA werden die verschiedenen biomechanischen Einflußgrößen, die beim Bewegen von Gliedmaßen entstehen, vermessen und bewertet mit dem Ziel, natürliche Bewegungsabläufe bis in kleinste Details modellhaft zu erfassen. Als Vorreiter für innovative Orthopädietechnik setzt das Fraunhofer IPA sein umfangreiches Know-how an Mess- und Simulationstechniken ein, um die verlorene Mobilität von unfallgeschädigten oder erkrankten Menschen so weit wie möglich zurück zu gewinnen. Darauf setzen auch Teilnehmer der nächsten Paralympics in London. IPA-Wissenschaftler arbeiten an einer faserverstärkten, elastischen Sportprothese für Sprinter. Modell steht ein äußerst schneller Zweibeiner: „Wir sind gerade dabei, die charakteristischen Merkmale von Straußenfüßen zu analysieren“, verrät IPA-Mediziner Schneider.

 

Der Ruf nach leistungsfähigen Werkzeugen, um neue medizinische Wirk- oder Impfstoffe zu entwickeln, ist lauter denn je. Die Bioproduktion von Zellen, Haut oder ganzer Organe befindet sich in einem stetigen Aufwärtstrend. Doch vieles, was sich Biologen ausdenken, ist mit großem manuellem Arbeitsaufwand verbunden: Beim Anlegen neuer Kulturen müssen Labortechniker Zellen zerlegen, schneiden und sterilisieren, auf der Suche nach Krankheitserregern landen massenweise Eiweißmoleküle unter dem Mikroskop. Automatische Verfahren sind erst in wenigen Bereichen auf dem Vormarsch. Das wird sich in den nächsten Jahren grundlegend ändern: „Sowohl beim Life-Science-Monitoring von lebenden Präparaten als auch beim Proben-Scanning gibt es einen deutlichen Schub in Richtung Prozessautomatisierung“, konstatiert Abteilungsleiter Jan Stallkamp.

 

Sicherheit ist Teil des Systemgedankens

 

Den Hebel ansetzen wollen die IPA-Experten bei der Miniaturisierung bisheriger Biotechanlagen von raumgroßen Produktionszellen auf tischgroße Fertigungseinheiten, die sich mit wenigen Handgriffen zu integrierten Produktionssystemen erweitern lassen. Damit Roboter das feuchtwarme Klima in Inkubatoren überstehen oder Messeinrichtungen Zellen exakt zählen und Ergebnisse fehlerfrei erfassen und dokumentieren sind hochspezialisierte und zuverlässige Produktionstechniken nötig. Drei IPA-Fachgruppen befassen sich mit der schwierigen Handhabung von lebenden Zellen, dem Steuerungskonzept integrierter Anlagen und der automatischen Produktion von biologischem Gewebe und Organen. Im neuen Forschungslabor Biopolis prüfen und entwickeln IPA-Wissenschaftler nicht nur innovative Anlagenkonzepte, sie wollen auch den gegenwärtigen Stand der Labor- und Messtechnik entscheidend vorantreiben, von neu gestalteten Mikrotierplatten bis zur sicheren Serienproduktion von Haut.

 

Roboter im Operationssaal haben in der Vergangenheit einen Imageschaden erlitten, dennoch ist ein Comeback hochspezialisierter Geräte und Manipulatoren, besonders in der minimalinvasiven Chirurgie, wieder voll im Gang. Dem Wunschziel jedes Chirurgen, der präzise Schnitt, unterstützt mit gestochen scharfen Live-Bildern eines flexiblen Endoskops, kommen moderne, mechatronische Assistenzsysteme sehr nahe. Statt programmgesteuerter Operationsroboter helfen handgeführte Instrumentenroboter, die mit einer sehr präzisen Messtechnik verbunden sind, beim Vernähen von Gefäßen oder dem Verlegen eines Bypass. Völlig neue Perspektiven öffnen Mikroroboter, die sich im Körper bewegen können und für diagnostische und therapeutische Aufgaben ausgelegt sind. Vor allem durch die Miniaturisierung technischer Funktionen auf kleinstem Raum, so die Überzeugung von Stallkamp, erhält die Produktions- und Prozessautomatisierung im medizintechnischen Umfeld einen kräftigen Schub.

 

Einsparungen in Millionenhöhe

 

Wer dem Gedanken nachhängt, dass ein gut geölter Fabrikbetrieb, der Tag für Tag auf Hochtouren läuft, von Fehlern verschont bleibt, der irrt. Eine Null-Fehler-Strategie ist vielleicht das ehrgeizige Ziel jedes Produktionsleiters, in der Praxis allerdings lassen sich störende Einflüsse auf Produkt und Qualität nicht endgültig ausschließen. „Das ist auch nicht sinnvoll“, sagt Alexander Schloske, dessen Abteilung auf Management-Konzepte und Methoden zur gesamtwirtschaftlichen Optimierung von Unternehmen fokussiert ist. Viel wichtiger ist die richtige Mischung aus Fehlervermeidung und dem nachträglichen Aufspüren noch verbliebener Material- oder Verarbeitungsfehler. Diese Prozessbetrachtung verbindet das technisch Machbare mit dem betriebswirtschaftlich Sinnvollen und zeitigt immer wieder erstaunliche Ergebnisse: „Es kommt vor, dass wir Einsparpotentiale in Millionenhöhe entdecken“, unterstreicht Schloske.

 

IPA-Forscher verfügen über eine breite Palette an Methoden und Verfahren, um im gesamten Produktlebenszyklus lückenlos Qualitäts- und Sicherheitskriterien zu verankern. Beispielsweise haben internationale Automobilkonzerne längst angefangen, neue Modellvarianten an ihren weltweit verteilten Standorten nach einem standardisierten Verfahren zu entwickeln. Parallel dazu starten Kosten- und Risikoanalysen, die in einen umfangreichen Projektplan münden und letztendlich das antizipierte Produkt vom Reißbrett bis zum Wertstoffhof begleiten. Auf diesem Weg kann man viel falsch machen und es bedarf der besonderen Expertise, um Zeit, Kosten, Umwelt und Qualität in der gewünschten Balance zu halten. Ein Grund mehr, dass auch erfahrene Großkonzerne auf IPA-Know-how zugreifen.

 

Wenn Unternehmen im Grenzbereich des Machbaren agieren, hängt der Erfolg von mehreren Faktoren ab. Neben der technologischen Innovationskraft, schlanken Fabrik- und Kostenstrukturen kommt es auch auf die logistische Effizienz und die Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter an. Die Standortanalyse ist das Metier von Abteilungsleiter Michael Lickefett, der zusammen mit seinen Teams die Produktionsoptimierung durch die so genannte Wertstromanalyse vorantreibt. „Wir untersuchen und eliminieren alle Produktionsschritte, die keinen Beitrag zur Wertschöpfung leisten“, lautet das Credo der Optimierungsstrategen dieser IPA-Abteilung. Japanische Produktionsmethoden wie Heijunka oder das Toyota-Prinzip bieten auch dem klassischen Maschinenbau ein schier unerschöpfliches Potential, um Engpässe in Fertigungsabschnitten oder lähmende Liegezeiten von Material zu umgehen.

 

Verschwendung auf ein Minimum drücken

 

Ein großes Thema nimmt unübersehbar Fahrt auf: Wieviel Energie verbraucht ein Fertigungsprozess? Auf diese Frage liefert die Wertstromanalyse eine Antwort: IPA-Wissenschaftler durchleuchten mit mobilen und stationären Messgeräten das gesamte Produktionsgeschehen eines Unternehmens und erstellen eine kennziffernbasierte Matrix des Energieverbrauchs. In einem zweiten Schritt geht es darum, Sparpotentiale und Energieverschwendungen zu erkennen und Maßnahmen einzuleiten. Fachleute rechnen bei konsequenter Anwendung dieser Methode mit einer deutlichen Abnahme des Energieaufwandes um bis zu 30 Prozent in einem industriellen Durchschnittsunternehmen.

 

Die Proritäten der Zukunft liegen für Abteilungsleiterin Anja Schatz dank ausgefeilter Softwaresysteme und besserer Netzwerkarchitekturen in der optimalen Verteilung der Wertschöpfungskette auf die beteiligten Partner. Erst wenn alle Informationen am richtigen Ort zur rechten Zeit bereitstehen, lassen sich Aufträge logistisch und produktionstechnisch optimal abwickeln. Eine überalterte Informationstechnik kann dabei die besten Vorsätze gnadenlos ausbremsen. Selbst eine tadellose Produktionstechnik hilft nicht weiter, wenn sich im Ein- oder Ausgangsbereich der Produktion die Ware staut und niemand weiss, wie man Auftragsspitzen bewältigt oder Flauten kompensiert. „Es geht um schnelle und richtige Entscheidungen“, sagt Schatz.

 

Alles an diesem Ansatz wendet sich gegen das Statische und Geschlossene scheinbar altbewährter Lösungen. Schatz und ihr Arbeitsteam sträuben sich gegen überfrachtete Softwarepakete, die sich nicht in die Organisation von produzierenden Unternehmen einbetten lassen. Stattdessen wird es in Zukunft vielmehr um eine schlanke, individuelle Auftragsabwicklung mit reduzierten Logistikkosten und einer nachvollziehbaren Ressourcenplanung gehen – Ideen und Umsetzung gehören zur Kernkompetenz dieser IPA-Abteilung.

 

Vorher Bagger, danach Schiffsmotor – diese erstaunliche Verwandlung schafft eine Fachrichtung am Fraunhofer IPA, die sich mit der Refabrikation von Automobilbaugruppen, mechanischen Bauteilen und mechatronischen Systemen befasst. Das Remanufacturing boomt und Professor Rolf Steinhilper hat alle Hände voll zu tun, um Unternehmen bei der erfolgreichen Aufarbeitung von defekten Bauteilen, Maschinen und Anlagen unter die Arme zu greifen: „Der Treiber sind die Kosten, die neu gefertigte Ersatzteile verursachen“, sagt Abteilungsleiter Steinhilper. Wer an billiges Recycling denkt, liegt im Fall der Refabrikation indes daneben. Mit modernsten Prüfständen, Life-Cycle-Analysen und Aufbereitungstechniken erleben Altteile eine Wiedergeburt mit der Funktionsfähigkeit eines Neuteils inklusive Gewährleistung.

 

Detailreiche Kenntnisse über elektronische Austauschteile, KFZ-Mechatronik und Diagnoseverfahren machen die IPA-Abteilung zu einem führenden Refabrikationszentrum, das ihr Wissen auch auf angrenzende Bereiche, wie die Altteilelogistik oder die Prozess- und Materialflussplanung von Refabrikationsbetrieben ausweitet. Auf 50 Milliarden Euro schätzt Professor Steinhilper den weltweiten Markt für intelligent aufbereitete Bauteile. Das Umsatzgros erwirtschaftet dabei der Automotive-Bereich, da sich niemand mehr die Wegwerfmentalität vergangener Jahre leisten kann.

 

Genau hinschauen und prüfen, das gehört zu den Tugenden, die eigentlich jedem Wissenschaftler und Ingenieur geläufig sind. Was aber, wenn das prüfende Auge nichts erkennt? Um versteckte Fehler ans Licht zu holen, benötigen qualitätsbewusste Fachleute physikalisches Grundlagenwissen und das notwendige methodische Rüstzeug, vor allem wenn es um die Luftfahrt-, Bahn- oder Automobilindustrie geht. Der Nachweis einer schlecht haftenden Verbindung zwischen Bremstrommel und Bremsbelag oder einer nachgebenden Klebeverbindung bei Verbundwerkstoffen gelingt nicht ohne Querschnitts-Know-how und maßgeschneidertem Prüfequipment.

 

Im Fokus von Abteilungsleiter Joachim Montnacher stehen schnelle und leistungsfähige Prüfanlagen mit einem weit umfassenderen Funktionsspektrum als die bisher eingesetzten Prüfsysteme. „Allein die Substitution von Aluminiumbauteilen durch Kunststoffe in der Automobil- und Luftfahrtindustrie und die zunehmenden Klebeverbindungen lösen einen enormen Bedarf nach seriengeeigneter Spitzenprüftechnik aus“, sagt Montnacher. Im Trend liegen bildgebende Verfahren wie die ultraschallangeregte Thermografie und die Shearografie, die Verformungen von Bauteilen im Nanometerbereich erfasst: „Wir wollen beide Verfahren zu einer neuen Generation von zerstörungsfreien Prüfanlagen verheiraten, die im Serienbetrieb reproduzierbare Ergebnisse liefern“, verrät Montnacher.

 

Ein Stück intelligenter Wahrnehmung

 

Während Menschen auf Anhieb erkennen, ob es sich um ein Kabel oder ein Hanfseil handelt, fällt diese Unterscheidung einem Kameraauge unendlich schwer. Die Messlatte liegt noch höher, wenn das Kabel mit Hundert anderen in einer Gitterbox liegt. Dann muss die Kamerasensorik und die damit verbundene Datenauswertung Höchstleistung vollbringen. Unternehmen, die ihre Automatisierung vorantreiben wollen, benötigen solche objekterkennenden Systeme - ein Grund mehr, bei Abteilungsleiter Markus Hüttel vorbeizuschauen. „Die beste Strategie gegen Schwachstellen bei Qualität und Durchsatz ist eine optisch unterstützte Prozessoptimierung mit moderner Informationsverarbeitung“, kommt es wie aus der Pistole geschossen aus dem Mund von Hüttel.

 

Die IPA-Abteilung möbelt technische Messsignale und digitale Bilddaten zu aussagekräftigen Sichten auf einzelne Prozessschritte im Fabrikgeschehen auf. Grundlage sind spezielle Algorithmen mit denen sich alles berechnen lässt, was zu einem optimalen Produktionsablauf gehört, egal ob es um die Oberflächenbeschaffenheit von Spritzgussteilen oder das korrekte Bohren von Löchern in einem Aluminiumblock geht. In Zukunft verschieben sich die Gewichte dabei noch mehr in Richtung fotorealistischer Bildsimulation. Produktionsplaner sehen dann am Bildschirm, wie die Werkzeugmaschine den Bohrer in den Materialblock treibt, noch bevor tatsächlich die Späne fliegen. Die Bilder sind nahezu deckungsgleich mit der Wirklichkeit, „da wollen wir hinkommen,“ betont Hüttel. Das eröffnet völlig neue Perspektiven. So können IPA-Wissenschaftler aus Maschinendaten voraussagen, wie lange das Werkzeug bei einer gewählten Taktgeschwindigkeit durchhält oder wie sich der Energieverbrauch besser an die Aufgabe anpassen lässt.